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Aussage gegen Aussage

„Dafür kann ich nicht verurteilt werden“ – oder doch?

 

Noch immer ist die Annahme weitverbreitet, eine Straftat sei nicht nachweisbar, wenn der Vorwurf nur auf der Aussage einer einzigen Person beruht. Das aufgeworfene Problem einer sog. „Aussage gegen Aussage“-Konstellation stellt nicht nur den Laien, sondern auch erfahrene Juristen vor erhebliche Herausforderungen.

 

Wann steht es Aussage gegen Aussage?

Eine solche Konstellation liegt sehr offensichtlich vor, wenn beispielsweise Anna Bernd einer Straftat bezichtigt und Bernd diese bestreitet. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass zwei Aussagen vorliegen. Denn auch, wenn Bernd dem goldenen Rat der Strafverteidiger folgt und zu den Vorwürfen keine Stellung bezieht, steht sein Schweigen dem Vorwurf von Anna gegenüber. Der schweigende Beschuldigte steht im Strafverfahren so, als würde er bestreiten.

 

Es ist auch nicht erforderlich, dass sich lediglich der (vermeintlich) Geschädigte und der Beschuldigte gegenüberstehen. Wird Bernd nicht nur von Anna, sondern auch von deren Mutter Martha belastet, steht es dennoch Aussage gegen Aussage.

 

Denn zwischen Mutter und Tochter besteht aufgrund ihrer Verwandtschaft regelmäßig eine besondere Nähe. Martha ist keine neutrale Zeugin, sondern steht sinnbildlich im Lager von Anna. Man spricht in solchen Fällen daher von sog. „Lagerzeugen“.

 

„Entgegen landläufiger Meinung kann auch verurteilt werden, wenn es Aussage gegen Aussage steht.“

 

Was ist aber, wenn eine weitere Aussage hinzutritt, die von einer Person stammt, der die Gerichte gerne eine besondere Glaubwürdigkeit zuschreiben, etwa einem Polizisten? Diese können zwar den Gang der Ermittlungen oder gewisse Teile davon aus eigener Anschauung berichten, sind aber ansonsten regelmäßig nur sog. Zeugen vom Hörensagen, das heißt, sie haben keine eigenen Wahrnehmungen von der angeblichen Tat gemacht, weil sie nicht selbst anwesend waren. Da Zeugen vom Hörensagen nur wiedergeben können, was ein eigentlicher Zeuge, also jemand mit eigenen Wahrnehmungen, ihnen berichtet hat, steht es weiterhin Aussage gegen Aussage.

 

Damit wird ersichtlich, dass es nicht immer die klassische „Eins-gegen-Eins-Situation“ sein muss, sondern diese besondere Beweissituation in der Praxis deutlich facettenreicher ist.

 

„Das Gesetz sieht vor, dass das Urteil auf der freien Überzeugung des Gerichts beruht. Nach diesem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung kann das Gericht einer Aussage mehr Glauben schenken als einer anderen und darauf sein Urteil stützen.“

 

Reicht das für eine Verurteilung?

Entgegen landläufiger Meinung kann auch verurteilt werden, wenn es Aussage gegen Aussage steht.

 

Das Gesetz sieht vor, dass das Urteil auf der freien Überzeugung des Gerichts beruht. Nach diesem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung kann das Gericht einer Aussage mehr Glauben schenken als einer anderen und darauf sein Urteil stützen.

 

Frei heißt jedoch nicht unbegrenzt. Neben gewissen Regeln, wie der sogenannten richterlichen Überzeugungsbildung, ist in Fällen „Aussage gegen Aussage“ eine besondere Glaubwürdigkeits- und Glaubhaftigkeitsprüfung vorzunehmen.

 

Die Glaubwürdigkeit betrifft die Person des Zeugen. Früher wurden dazu häufig die soziale Stellung des Zeugen und seine angeblichen Charaktereigenschaften herangezogen, wohingegen heute gefragt wird, ob die Aussage von einer Person stammt, die in der Lage ist, wirklichkeitsgetreu auszusagen. Zweifel daran können etwa bestehen, wenn der Zeuge jahrelang in Betäubungsmittelkreisen verkehrte und selbst Drogen in erheblichem Maße konsumierte. Dieser Konsum kann sich nachteilig auf die Fähigkeit zur Erinnerung und Darstellung von wirklich Erlebtem in einer Aussage auswirken.

 

Die Glaubhaftigkeit betrifft hingegen die Aussage an sich. Hier muss in einer Gesamtbetrachtung überprüft werden, ob die Aussage hinreichend belastbar ist. Kriterien sind dabei etwa die Konstanz und Plausibilität der Aussage, also, ob deren Inhalt identisch bleibt oder sich im Laufe mehrerer Vernehmungen ändert, ebenso wie ihre Detailliertheit im Kerngeschehen, signifikante Umstände, die nur zur Person des Beschuldigten passen und das Aussagemotiv.

 

Diese Prüfungsschritte sind in der praktischen Anwendung besonders problematisch. Wann ist eine Abweichung bei der Aussagekonstanz erheblich? Wann schließt der Drogenkonsum des Zeugen aus, dass seiner Aussage geglaubt werden kann? Wie detailreich muss es mindestens sein?

 

Ohne fundierte rechtspsychologische Kenntnisse lassen sich diese Fragen kaum beantworten. Da auch der beste Jurist kein Psychologe ist, ist in Zweifelsfällen ein entsprechendes Sachverständigengutachten einzuholen, welches wiederum methodenkritisch darauf überprüft werden muss, ob es gutachterlichen Mindeststandards entspricht.

 

Selbst erfahrene Strafjuristen neigen hier zu Fehleinschätzungen, wenn sie etwa eine weinende Zeugin als besonders glaubwürdig einstufen, eben, weil sie weinte oder ansonsten besonders emotional war. Es gibt jedoch keinen empirischen Beleg dafür, dass ein Zusammenhang zwischen Emotionen und der Wahrheit einer Aussage besteht.

 

„Selbst erfahrene Strafjuristen neigen […] zu Fehleinschätzungen, wenn sie etwa eine weinende Zeugin als besonders glaubwürdig einstufen, eben, weil sie weinte oder ansonsten besonders emotional war.“

 

Wie oft kommt das vor?

Man denkt hier zuerst an den Bereich der Sexualdelikte, da Geschlechtsverkehr meist im Privaten und ohne die Anwesenheit anderer Personen ausgeübt wird. Aber auch bei Beleidigungen, Diebstählen, Drogendelikten und Körperverletzungen sind „Aussage gegen Aussage“-Konstellationen zu häufig anzutreffen.

 

Warum zu häufig?

Angesichts des technischen Fortschritts steht eine nahezu unbegrenzte Datenmenge zur Verfügung, welche eine Aussage bestärken oder entkräften kann. Die meisten Smartphone-Apps und vor allem Google-Dienste zeichnen zugleich die Standortdaten des Handys auf, was sich mit ein paar einfachen Klicks nachvollziehen lässt. Fotoaufnahmen enthalten im Original sog. Metadaten, welche Auskunft über Ort, Zeit und Datum der Aufnahme geben.

 

Daher gibt es kaum einen Grund, sich auf die Ungewissheit, welche eine einzelne belastende Aussage mit sich bringt, einzulassen. Vorausgesetzt ist dabei, dass die Ermittlungsbehörden auch tatsächlich die genannten Daten erheben, wozu ein Blick in das Handy des vermeintlich Geschädigten genügen würde. Allzu häufig werden entsprechende Ermittlungen aber gar nicht erst angestellt, sondern es wird unterstellt, die Belastungsaussage stimme schon, immerhin handle es sich ja um eine Straftat.

 

Ein derart falsch verstandener Opferschutz bildet dabei die Saat für ein mögliches späteres Fehlurteil.

 

„Angesichts des technischen Fortschritts steht eine nahezu unbegrenzte Datenmenge zur Verfügung, welche eine Aussage bestärken oder entkräften kann.“

 

Fazit

Zwar müsste es häufig nicht Aussage gegen Aussage stehen, diese Erkenntnis hilft jedoch nur bedingt weiter. Es handelt sich um eine hochkomplexe Verfahrenssituation, bei der zwingend ein erfahrener Strafverteidiger hinzugezogen werden sollte. Eine Verurteilung droht nämlich dennoch, obwohl und gerade weil es zahlreiche mögliche Fehlerquellen bei der Aussageanalyse gibt.

 

 

TIMO KETTLER

 

ist selbstständiger Rechtsanwalt in Mannheim und ausschließlich als Strafverteidiger tätig.

 

Nach einer Ausbildung zum Justizfachangestellten holte er parallel zur Arbeit das Abitur nach und studierte danach Jura in Heidelberg.

 

Zu seinen Schwerpunkten gehört unter anderem das Sexualstrafrecht, in welchem er sich regelmäßig mit Aussage gegen Aussage-Konstellationen befasst.

 

 

 

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