Grundrechte in Zeiten von Corona – ein Rückblick auf das Jahr 2020
In diesem Artikel möchte ich auf die „Layman“-Weise, also möglichst frei von juristischen Fachbegriffen ein sehr relevantes Thema erläutern. Ich erkläre, was Grundrechte eigentlich sind, welche Grundrechte durch die staatlichen Maßnahmen im Jahre 2020 betroffen waren und weshalb es überhaupt möglich ist, in die Grundrechte einzugreifen und sie somit einzuschränken.
Wir alle haben Rechte, die im Grundgesetz seit dem Jahre 1949 verankert sind. Diese Rechte sollen jeden Einzelnen von uns vor staatlichen Eingriffen schützen. Unsere Grundrechte sind also ein zentraler Teil des Grundgesetzes, der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland.
Grob lassen sich die Grundrechte in Gleichheitsrechte, wie z.B. die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und in Freiheitsrechte, wie z.B. die allgemeine Handlungsfreiheit, das Recht auf Freizügigkeit, die Versammlungsfreiheit etc. einteilen.
Der Ausbruch des Virus SARS-CoV-2 brachte im Jahre 2020 staatliche Maßnahmen mit sich, die es in Deutschland in diesem Ausmaß wohl noch nie gegeben hat. Wir haben Kontaktverbote auferlegt bekommen und müssen uns an Abstandsgebote halten. So wurde beispielsweise für den Besuch im Supermarkt seitens des Staates die Reglung eingeführt, dass mindestens 1,5 Meter Abstand einzuhalten und Masken zu tragen sind. Ein- und Ausreisebeschränkungen wurden im März 2020 eingeführt, sodass wir Bürger uns nicht grenzenlos bewegen konnten. Schulen und Kitas wurden geschlossen. Gastronomiebetriebe und Kosmetikstudios ebenfalls. Die Hotelleriebranche lag brach und viele weitere Unternehmenszweige mussten ihr Geschäft schließen bzw. durften nur mit zusätzlichen Maßnahmen ihr Geschäft weiter betreiben. Man kann also durchaus behaupten, dass das Corona-Virus eine Krise auslöste.
In welche Grundrechte wurde eigentlich durch welche Maßnahmen eingegriffen?
Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)
Die allgemeine Handlungsfreiheit ist die Freiheit, nach eigenem Willen zu handeln. Dies ist eines der absoluten Rechte eines jeden Bürgers, das durch die Bundesrepublik garantiert zu sein schien. Plötzlich wurden Maßnahmen getroffen, die uns das Handeln nach unserer freien Wahl unmöglich machten oder unser Handeln zumindest sehr einschränkten. So wurden öffentliche Veranstaltungen untersagt, Restaurants wurden geschlossen, der Kinobesuch wurde plötzlich unmöglich und unsere Liebsten durften wir auch nur eingeschränkt besuchen. Sportliche Aktivitäten wie der Besuch im Fitnessstudio oder im Schwimmbad waren plötzlich nicht möglich und der Besuch im Kosmetiksalon musste ausfallen.
Recht auf Freizügigkeit (Art. 11 GG)
Auch am Bespiel des Rechts auf Freizügigkeit erkennt man die Auswirkungen der Corona-Krise. Das Recht auf Freizügigkeit ist eines der ältesten Menschenrechte überhaupt. Es ist das Recht, Aufenthalt und Wohnsitz im gesamten Bundesgebiet nach Belieben zu wählen. Plötzlich konnten wir aber gerade nicht frei entscheiden, wo wir uns aufhalten möchten. So waren bestimmte Areale gesperrt, länderübergreifend wurden Grenzen geschlossen und das Reisen war schier unmöglich. Wir konnten uns zwar frei zur Arbeitsstelle und zurückbewegen, den Einkauf erledigen und unsere nahen Familienangehörigen (eingeschränkt) besuchen. Mehr Freizügigkeit war aber eine ganz lange Zeit nicht möglich.
Berufsfreiheit (Art. 12 GG)
Gleichwohl war auch die Berufsfreiheit vor allem im März, April und ist auch seit November wieder betroffen. Viele Unternehmen, insbesondere Gaststätten, Gastronomien und Hotelbetriebe mussten schließen oder immense Einschränkungen hinnehmen. Das Essen durfte beispielsweise nicht innerhalb der Gastronomie verzehrt werden, sondern nur geliefert oder abgeholt werden. Damit zusammenhängend konnten viele Beschäftigte ihren Beruf nicht oder nur in Kurzzeitarbeit ausüben.
Freiheit der Person (Art. 2 GG)
Glück hatte derjenige, der sich überhaupt aus dem Haus bewegen durfte. Die Freiheit der Person war nämlich insoweit eingeschränkt, als dass diejenigen Personen, die an Corona erkrankt waren oder zumindest ein Verdacht dazu bestand, sich in Isolierung bzw. Quarantäne zurückziehen mussten.
Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG)
Und auch die Versammlungsfreiheit konnte nicht so ausgeübt werden, wie man es bislang gewohnt war. Demonstrationen und generell Versammlungen wurden zumeist zwar im Sinne der Meinungsfreiheit gestattet, jedoch nur unter der Auflage der Maskenpflicht.
Was bezweckten die staatlichen Maßnahmen eigentlich?
Da sich im bereits Februar und März 2020 immer mehr und mehr Menschen am neuartigen und bislang unerforschten Virus ansteckten, sollte der zwischenmenschliche Kontakt auf ein Minimum beschränkt werden. So sollten weitere Ansteckungen vermieden oder zumindest geringer gehalten werden. Dieser Zweck gilt auch bis heute noch.
Wie ist es möglich, dass solche Rechte eingeschränkt werden?
Ich habe bereits des Öfteren das Wort „einschränken“ verwendet, denn Grundrechte unterliegen in der Tat verschiedenen Einschränkungsmöglichkeiten. Einige davon geben dem Gesetzgeber selbst durch ihren Wortlaut schon die Möglichkeit, eine Einschränkung vorzunehmen. Damit stellt nicht jeder Eingriff auch gleichzeitig eine Verletzung dieses Grundrechts dar. Das muss man voneinander trennen.
Für einen Eingriff bedarf es eines Gesetzes. Für die Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Corona-Virus getroffen worden sind, ist das Infektionsschutzgesetz relevant. Dieses regelt, welche Maßnahmen in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt getroffen werden dürfen, um die Verbreitung einer Krankheit zu vermeiden.
Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Grundrechte aber nur dann durch bestimmte Maßnahmen eingeschränkt werden dürfen, wenn es auch verhältnismäßig ist. Diese Erwägungen werden in der Juristerei als Verhältnismäßigkeitsprinzip bezeichnet. So müssen die Einschränkungen bestimmte Bedingungen erfüllen, die im Einzelfall juristisch zu prüfen sind.
„Grundrechte unterliegen in der Tat verschiedenen Einschränkungsmöglichkeiten. Einige davon geben (…) durch ihren Wortlaut schon die Möglichkeit, eine Einschränkung vorzunehmen. Damit stellt nicht jeder Eingriff gleichzeitig auch eine Verletzung dieses Grundrechts dar.“
Verhältnismäßigkeit
Die Maßnahmen zur Einschränkung müssen geeignet sein, also förderlich dafür, dass das Virus sich nicht weiter ausbreitet. Als Beispiel trägt die Meinungs- oder Kunstfreiheit nicht zur Ausbreitung des Virus bei. Ob die Bürger ihre Meinung frei äußern oder ihre Ansicht künstlerisch darstellen, ist für die Ausbreitung des Virus irrelevant. Daher ist es nicht geeignet, hier Einschränkungen vorzunehmen.
Die Einschränkungen müssen ferner erforderlich sein. Es darf also kein milderes Mittel vorhanden sein, um den Zweck (Vermeidung der Ausbreitung) in gleicher Weise zu fördern. Hier kann man sich in Bezug auf einzelne Maßnahmen streiten, jedoch haben die Gerichte größtenteils die Maskenpflicht, die Abstandsregelungen, die Betriebsschließungen, einige Versammlungsverbote und einzelne Auflagen als erforderlich angesehen.
Ferner muss die Einschränkung des Grundrechts angemessen sein. So dürfen die Nachteile der Maßnahme nicht völlig außer Verhältnis zu den Vorteilen der Maßnahme stehen. Je geringer die Gefahr ist, desto geringer darf also auch der Eingriff in das Grundrecht sein. So wurden die Einschränkungen immer nur für eine gewisse Zeit getroffen und nach aktueller Fallzahl des Virus immer wieder neu entschieden, ob Geschäfte geschlossen werden oder nur mit Maske betreten werden können. Ob Besuche bei Verwandten oder Reisen in andere Bundesländer wieder ermöglicht werden dürfen oder weiterhin unterbleiben müssen.
„Besonders wichtig ist (…), dass Grundrechte aber nur dann durch bestimmte Maßnahmen eingeschränkt werden dürfen, wenn es auch verhältnismäßig ist. Diese Erwägungen werden in der Juristerei als Verhältnismäßigkeitsprinzip bezeichnet.“
Fazit
Der Staat darf Grundrechte also nur dann einschränken, wenn dies verhältnismäßig ist. Letztendlich muss im Einzelfall zwischen Leben und körperlicher Unversehrtheit auf der einen Seite und dem eingeschränkten Grundrechtsinhalt abgewogen werden. Rückblickend gesehen hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit im Jahre 2020 aufgrund der massiven Bedrohung durch die Corona-Pandemie zumeist den Vorrang bekommen. Die Politik sah und sieht sich in der Verantwortung, diese Grundrechte in besonderem Maße zu schützen.
IRINA SHAFIR, LL.M.
ist selbstständige Rechtsanwältin mit Schwerpunkt auf
Zivil-, Wirtschafts- und Insolvenzrecht.
Ihren Master hat sie im
Europäischen Wirtschaftsrecht gemacht und
hat zudem ein Studium im Personal-
und Business- Coaching absolviert.