Deutschland, ein Land der Autobahnen und Autobauer. Doch so ruhmreich die Vergangenheit der heimischen Automobilindustrie war, umso härter war in der jüngeren Zeit die Konkurrenz. Man hatte Angst, den Anschluss an neue Entwicklungen, wie etwa bei der Elektromobilität, zu verpassen. Bei einem weiteren Zukunftstrend, dem autonomen Fahren, will man jedoch wieder die gewohnte Vorreiterrolle einnehmen.
Als erstes Land der Welt wagte Deutschland eine allgemeine Regelung und konnte mit dem Gesetz zum autonomen Fahren, Mitte 2021, den Einsatz (beschränkt) autonomer Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr und im Regelbetrieb ermöglichen. Was es genau mit diesem Gesetz auf sich hat, ab wann wir tatsächlich über autonomes Fahren sprechen und vieles mehr, soll in diesem Beitrag kurz aufgezeigt werden.
Warum ist ein solcher Rechtsrahmen überhaupt notwendig?
Wie bei allen neuen Technologien, die auf den Markt kommen sollen, ist es zunächst notwendig, die Spielregeln festzulegen. Anders ausgedrückt, es soll reguliert werden, unter welchen Bedingungen Technologien, wie autonome Fahrsysteme betrieben werden dürfen. Dabei ist es enorm wichtig, die Balance zwischen der Förderung von Innovationen, dem Schutz der Verbraucher und der Vermeidung unbeabsichtigter Konsequenzen zu finden. Andernfalls würde man neu aufstrebende Technologien im Keim ersticken oder riskieren, dass der Einsatz dieser mit einem erheblichen Sicherheitsrisiko einhergeht.
Das Gesetz zum autonomen Fahren ist dabei kein neues Gesetz an sich, sondern vielmehr eine Ergänzung bzw. Erweiterung des bestehenden Straßenverkehrsgesetzes (kurz StVG). Dieses wurde, nachdem es bereits 2017 „novelliert“ worden ist und damals den Einsatz von teil- und hochautomatisierten Fahrsystemen ermöglichte, nun um Bestimmungen für das vollautomatisierte Fahren erweitert.
„Als erstes Land der Welt wagte Deutschland eine allgemeine Regelung und konnte mit dem Gesetz zum autonomen Fahren Mitte 2021 den Einsatz (beschränkt) autonomer Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr im Regelbetrieb ermöglichen.“
Ab wann sprechen wir überhaupt vom autonomen Fahren?
Ganze 5 Level gibt es auf dem Weg zum autonomen Fahrzeug:
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Level 1: Assistiertes Fahren
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Level 2: Teilautomatisiertes Fahren
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Level 3: Hochautomatisiertes Fahren
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Level 4: Vollautomatisiertes Fahren
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Level 5: Autonomes Fahren
Bei den Leveln 1 und 2 wird der Fahrer durch Assistenzsysteme unterstützt, die zum Teil die Fahrzeugsteuerung übernehmen, bspw. mittels eines (adaptiven) Tempomats oder automatischen Spurhalteassistenten. Hier muss der Fahrer allerdings den gesamten Fahrvorgang überwachen sowie die Umgebung stets im Blick haben, um im Zweifel jederzeit eingreifen zu können. Ihm obliegt also weiterhin die sog. verkehrsübliche Sorgfaltspflicht. Tut er es nicht und es passiert ein Unfall, haftet er für die Schäden (aber auch für Verkehrsverstöße).
Ist das Fahrzeug mit einem automatisierten Fahrsystem ausgestattet, welches die komplette Fahrzeugsteuerung übernehmen und die Umgebung überwachen kann, wird es als Level 3 klassifiziert. Der Einsatzbereich ist allerdings nur auf bestimmte Streckenabschnitte beschränkt und der Fahrer muss weiterhin eingriffsbereit bleiben und nach Aufforderung des Systems kurzfristig die Fahrzeugsteuerung übernehmen können.
- Übrigens, Mercedes hat als erster Automobilhersteller die anspruchsvollen gesetzlichen Anforderungen erfüllt und angekündigt, noch dieses Jahr Modelle mit einem solchen Level 3 Fahrsystem auf den Markt zu bringen. Dieses wird allerdings nur auf geeigneten Autobahnabschnitten in Stausituationen oder bei hohem Verkehrsaufkommen aktiviert werden können, da unter anderem eine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h nicht überschritten werden darf. (An einem Regelwerk, dass derartige Level 3 Fahrsysteme auch bei höheren Geschwindigkeiten bis zu 130 km/h erlaubt, wird bereits gearbeitet.)
Bei Level 4 Fahrsystemen wird die Fahrzeugführung komplett abgegeben und der Fahrer wird zum Passagier. Eine ständige Eingriffsbereitschaft entfällt, denn das vollautomatisierte Fahrsystem kann sich nun auch bei etwaigen Systemfehlern oder unterwarteten Sondersituationen eigenständig und regelkonform in einen sicheren Zustand bringen, bspw. auf einem Seitenstreifen zum Stehen kommen. Aber auch bei diesem Automatisierungsgrad gibt es Einschränkungen. So darf ein solches Fahrsystem nur in festgelegten Betriebsbereichen aktiviert werden. Bei diesen handelt es sich um öffentliche Straßenräume bzw. Zonen. Häufig spricht man bei diesem Level vom beschränkt autonomen Fahren.
- In Deutschland wird es trotz Wegfall des Fahrers stets eine Art Kontrollorgan in Form einer Technischen Aufsicht geben. Diese hat besondere Fahrmanöver zu genehmigen und in Notsituationen das Fahrzeug zu deaktivieren, muss sich jedoch zu keinem Zeitpunkt selbst im Fahrzeug befinden.
Erst wenn die zuvor genannten Beschränkungen wegfallen und das Fahrsystem vollumfänglich die gesamte Fahrzeugsteuerung übernehmen kann, ohne in irgendeiner Weise an Betriebsbereich(e), einen Fahrer oder die Technische Aufsicht gebunden zu sein, sprechen wir von einem Level 5 Fahrsystem, also vom autonomen Fahren.
„Fast 90 % der Unfälle gingen in den letzten Jahren auf das Konto menschlicher Fehler. Hier soll das autonome Fahrsystem für mehr Verkehrssicherheit sorgen.“
Wer haftet bei autonomen Fahrzeugen?
Aus der Statistik geht hervor, dass menschliches Fehlverhalten die größte Gefahrenquelle im deutschen Straßenverkehr darstellt – und das mit Abstand! Fast 90 % der Unfälle gingen in den letzten Jahren auf das Konto menschlicher Fehler. Hier soll das autonome Fahrsystem für mehr Verkehrssicherheit sorgen. Dieses kann nicht nur schneller als das menschliche Auge reagieren, es lässt sich auch nicht ablenken, ermüdet nicht und wird sich stets an die Verkehrsvorschriften halten.
Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es allerdings auch beim autonomen Fahren nicht. Wer haftet also bei einem Unfall? Hier bleibt alles beim Alten: Wie bei einem ganz normalen Privatauto haftet der Halter auch bei einem autonomen Fahrzeug unabhängig vom Verschulden. Erst wenn am Fahrzeug ein technischer Mangel nachgewiesen wird, haftet der Hersteller und nicht der Halter.
Der Umgang mit Dilemma-Situationen
Unweigerlich stößt man beim autonomen Fahren auch auf die sog. „Dilemma-Problematik“. Bei dieser handelt es sich um das theoretische Konstrukt einer unausweichlichen Kollision, bei der jemand stirbt. Zwischen zwei Übeln muss gewählt werden. Es stehen Leben gegen Leben, manchmal auch ein Leben gegen viele Leben.
Angenommen, ein Kind taucht plötzlich auf der Fahrbahn auf. Ein Mensch könnte hier oft nicht schnell genug reagieren. Ein autonomes Fahrsystem schon. Was aber, wenn es beim Ausweichen mehrere am Fahrbahnrand spazierende Menschen überfahren und töten würde? Hier kommt es zum moralischen Dilemma: Wie soll entschieden werden, welche der gefährdeten Menschen „gerettet“ werden soll? Welche Kriterien sollen herangezogen werden? Oder soll schlichtweg das Zufallsprinzip entscheiden?
Der Gesetzgeber hat sich auch mit der Dilemma-Problematik auseinandergesetzt und verpflichtet die Hersteller dazu, das Fahrsystem so zu programmieren, dass es in derartigen Entscheidungssituationen keine weitere Gewichtung anhand von persönlichen Merkmalen (z.B. Alter, Geschlecht) vornimmt. Offengelassen wurde aber, ob eine quantitative (zahlenmäßige) Abwägung rechtens sein könnte. Weder Gesetzgeber noch die Automobilindustrie sind derzeit in der Lage, die angesprochenen Dilemma-Szenarien durch technische Vorgaben zufriedenstellend zu lösen.
„Angenommen, ein Kind taucht plötzlich auf der Fahrbahn auf. Ein Mensch könnte hier oft nicht schnell genug reagieren. Ein autonomes Fahrsystem schon. Was aber, wenn es beim Ausweichen mehrere am Fahrbahnrand spazierende Menschen überfahren und töten würde? Hier kommt es zum moralischen Dilemma.“
Fazit
Die Grundlage für die Regulierung des autonomen Fahrens wurde in Deutschland gelegt. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie schnell die Automobilindustrie die hohen technischen Vorgaben auch praktisch umsetzen kann. In dem vorliegenden Beitrag konnte leider nur ein Bruchteil an Fragestellungen zum autonomen Fahren vorgestellt werden. Hinzukommen insbesondere auch Fragen zum Datenschutz, der strafrechtlichen Verantwortung oder zur Cybersicherheit.
JUSTIN VÖLKEL, LL.M. Eur.
ist Wirtschaftsjurist, Chefredakteur von LEGAL LAYMAN und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Würzburg.
Seine Themenschwerpunkte liegen im Straf-, Kartell- und Technikrecht.
Er promoviert im Bereich der Regulierung künstlicher Intelligenz, insb. im Hinblick auf Fahrzeuge mit autonomer Fahrfunktion.