Stellen Sie sich vor, es besteht zu jeder Zeit die Möglichkeit, Ihr zu Hause in ein Casino zu verwandeln. Es ist ein Casino, das zu Ihnen kommt, und zwar über das Internet, über eine dunkle und leicht anrüchige Website mit echtem Casinoflair. Es ist ein Casino, bei dem der Staat nicht wie bei herkömmlichen Casinos kontrollieren kann, dass der Spielerschutz auch tatsächlich eingehalten wird und bei dem Sie so viel Geld setzen beziehungsweise verlieren können, wie Sie wollen. Und nun stellen Sie sich einmal vor, Ihr Bekannter, Angehöriger oder aber Sie selbst sind glücksspielsüchtig. Welche Auswirkungen hätte ein solches Online-Casino wohl auf Sie, Ihre Familie und Freunde?
Der Glücksspielstaatsvertrag als rechtliches Schutzschild
Dies vorangestellt, versteht man schnell den Hintergrund des Glücksspielstaatsvertrages[1] (GlüStV), der bis zum 30.06.2021 in Deutschland das virtuelle Automatenspielen, Online-Poker und -Roulette verbot: Der potenzielle Spieler sollte durch das Gesetz davor geschützt werden, sich (und womöglich auch seine Familie) durch ein paar Klicks finanziell zu ruinieren.
Warum das Verbot nicht funktioniert
Der deutsche Staat konnte jedoch trotz dieses Gesetzes einfach nicht verhindern, dass Online-Casinos geradezu aus dem Boden sprießten und die Glücksspielunternehmen Milliarden-Gewinne erzielten. Das Verbot verkam deshalb jahrelang zu einem rein theoretischen Konstrukt.
Wie die Gerichte damit umgehen
Seit etwa Anfang 2021 haben deshalb etliche Gerichte über Klagen von Nutzern solcher Online-Casinos entschieden. Es ist inzwischen eine regelrechte Klagewelle entstanden. „Klagegegenstand“ war dabei jeweils, dass die Nutzer ihre verlorenen Spieleinsätze von den Onlineportalen zurückforderten.
Mittlerweile hat sich hierbei auch eine klare Tendenz der Rechtsprechung ergeben: Danach können Nutzer dieser Online-Casinos in aller Regel ihre verlorenen Spieleinsätze vom jeweiligen Glücksspielunternehmen zurückfordern, wenn das Glücksspiel in dem Zeitraum vom 01.07.2012 bis zum 30.06.2021 in Deutschland (ausgenommen Schleswig-Holstein) beim virtuellen Automatenspielen, Online-Poker und –Roulette stattfand, also genau in der Zeit, in der Online-Casinos gesetzlich verboten waren; oder wenn die jeweiligen Casino-Anbieter nach dem 30.06.2021 nicht über eine gültige Lizenz verfügen.
„Mittlerweile hat sich hierbei auch eine klare Tendenz der Rechtsprechung ergeben: Danach können Nutzer dieser Online-Casinos in aller Regel ihre verlorenen Spieleinsätze vom jeweiligen Glücksspielunternehmen zurückfordern […].“
Wie die Nutzer ihre Spieleinsätze zurückbekommen können
Der Anspruch auf Rückzahlung der verlorenen Spieleinsätze ergibt sich aus dem sogenannten „bereicherungsrechtlichen Grundsatz“, der vom Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) aufgestellt wird. Dieser Grundsatz besagt vereinfacht ausgedrückt, dass derjenige, der sich von einem anderen etwas geben lässt (z.B. also das Glücksspielunternehmen, das vom Nutzer den Spieleinsatz erhält), ohne dass es das Recht dazu hatte (z.B. das gesetzliche Verbot), die Leistung (= Spieleinsatz) wieder an den anderen (=Spieler) zurückgeben muss.
Problematisch ist für die Spieler beziehungsweise Nutzer jedoch meistens die Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber den Glücksspielunternehmen. Sie sehen sich hier Unternehmen gegenübergestellt, die mit Sitz im inner- oder aber auch außereuropäischen Ausland teilweise jährlich Umsätze von mehreren Milliarden Euro erwirtschaften und auch über entsprechenden Zugang zu einer professionellen juristischen Verteidigung verfügen. Um insofern „Waffengleichheit“ zu schaffen, gibt es mittlerweile zahlreiche Rechtsanwälte, Prozessfinanzierer oder Legal-Tech-Anbieter, die sich auf die Rückerstattung von Online-Glücksspielverlusten spezialisiert haben und Online-Spieler bei der gerichtlichen und außergerichtlichen Geltendmachung ihrer Rechte unterstützen.
Eine solche Unterstützung ist auch dringend nötig, denn die juristischen Problematiken sind in den meisten Fällen nicht zu unterschätzen. Zudem befinden sich die Nutzer durch die erlittenen Glücksspielverluste oftmals in einer schwierigen finanziellen Lage, was die Sache dann nicht gerade einfacher macht.
„Problematisch ist für die Spieler beziehungsweise Nutzer jedoch meistens die Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber den Glücksspielunternehmen.“
Wo das rechtliche Hauptproblem liegt
Auf sämtliche Einzelheiten und Problematiken einzugehen würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen, weshalb nur beispielhaft auf folgenden „Knackpunkt“ eingegangen werden soll: So bringt zunächst jedes gerichtliche Urteil nur insofern etwas, als es auch vollstreckt werden kann, das heißt die gerichtlich beurteilten Ansprüche auch durchgesetzt werden können und der Nutzer sein Geld vom Glücksspielunternehmen tatsächlich zurückbekommt. Entscheidungen deutscher Gerichte im Fall von Online-Glücksspielverlusten sind aber in aller Regel nur äußerst schwierig zu vollstrecken. So stellt sich die Frage, wie ein Urteil eines deutschen Gerichts gegen ein in Malta, Gibraltar, Zypern oder Curacao sitzendes Glücksspielunternehmen vollstreckt werden soll. Es gibt natürlich auch Fälle, wo es sich für den Nutzer erst gar nicht lohnt gerichtlich vorzugehen, weil das Glücksspielunternehmen beispielsweise zahlungsunfähig, also pleite ist. Im „Dschungel“ der abertausenden ausländischen Online-Casinos an entsprechende Informationen über die Zahlungsfähigkeit der Glücksspielunternehmen zu gelangen, ist dabei nur eine weitere Schwierigkeit.
Finger weg vom Online-Glücksspiel
Alles in allem lässt sich festhalten, dass Glückspielverluste vom virtuellen Automatenspielen, Online-Poker und -Roulette dann von Nutzern zurückgefordert werden können, wenn diese Verluste zwischen dem 01.07.2012 und 30.06.2021 entstanden sind; oder aber, wenn nach dem 30.06.2021 der Anbieter nicht über eine gültige Lizenz verfügt. Wenn man daran denkt die eigenen Spieleinsätze wieder zurückzuholen, dann muss man sich jedoch auch bewusst machen, dass es schon daran scheitern kann, dass die Glücksspielunternehmen gar nicht greifbar sind. Hat man es jedoch geschafft und ein Urteil gegen die Glücksspielunternehmen in der Hand, dann muss man sein Geld auch noch eintreiben, was weitere Probleme aufwerfen kann.
Jedoch zeigt sich gerade am Beispiel der Online-Casinos die Stärke der juristischen Dienstleistungsgesellschaft: Das Verbot des Online-Glücksspiels, welches der Staat fast zehn Jahre lang trotz Gesetz nicht durchsetzen konnte, führt letztlich erst mithilfe von Rechtsanwälten, Prozessfinanzierern und LegalTech-Unternehmen zu rechtlichen Konsequenzen. In der Fachsprache nennt sich das dann „Private Enforcement“.
[1] Der Vertrag galt zwischen allen Bundesländern mit Ausnahme von Schleswig-Holstein.
DR. BENEDIKT QUARCH, M.A.
ist Co-Founder RightNow Group, Forbes 30u30, von Herzen Unternehmer und Jurist.
ASS. JUR. LEONHARD KNÖLLER, M.A.
ist Assistent der Geschäftsführung bei der RightNow Group.