…WIE SCHWIERIG ES ALS QUEREINSTEIGERIN IST, EINEN MASTER IN JURA ZU MACHEN.
Die [AUTORIN] ist Journalistin, die als Quereinsteigerin einen Jura-Master macht. Weil sie aktuell auf Jobsuche ist, will sie anonym bleiben.
Wenn Sie könnten, würden sie Perücken tragen!
Jeden Montag beginnt meine Hass-Vorlesung mit dem Satz: „Heute wird es noch einmal extrem schwierig.“ Seit Beginn der Vorlesung vor drei Monaten habe ich jeden Sonntagabend Bauchweh vor den unlösbaren Aufgaben, die mir zu Beginn der Woche im gewerblichen Rechtsschutz gestellt werden. Konzipiert, um zu failen. Wie dafür gemacht, um mich aus der Juristerei rauszuekeln.
Seit zwei Jahren stelle ich mir dieselben Fragen. Quälen sich Juristen eigentlich gerne, macht das irgendwie Spaß? Muss das Jura-Studium vielleicht sogar als eine Art masochistische Bestrafung für die eigenen Jugendsüden herhalten? Was für eine Sorte Mensch entschließt sich, ein Gebiet zu wählen, das – so scheint es mir – vorsätzlich dazu beiträgt, dass es so wenige Menschen wie möglich verstehen? Oder liegt vielleicht genau hier der Kick, als eigener Minderwertigkeitskomplex begraben?
„Wundern Sie sich nicht – ich habe selbst über eine Stunde gebraucht, um den Sachverhalt zu verstehen!“, sagt der gutgelaunte Prof. beschwichtigend, während er den Sachverhalt im Stakkato runterrattert und die Folien weiterklickt. Danach sollen wir uns an der Antwort versuchen. Es geht um ein Verfahren zum Steuern der Temperaturerhöhung beim automatischen Schweißen von Kunststoffteilen. Meine Kommilitonen (alles „echte“ Juristen) und ich tappen der Reihe nach im Dunkeln, aber auch das „macht überhaupt nichts, denn der Fall ist so schwer, den verstehen selbst gestandene Fachanwälte nicht“.
Die Motivation, mich damit hauptberuflich zu beschäftigen, hat sich (…) leider verabschiedisiert. Weil nicht auf die Bedürfnisse von Nicht-Juristen eingegangen wird, und weil uns das Gefühl vermittelt wird, dass wir hier ganz einfach falsch und unerwünscht sind. Weil wir stören, mit unserer „unpräzisen“ und „flapsigen“ Sprache.
Bravo! Danke für diese motivierenden Worte. Da bekommt man direkt Lust, den Rest der Woche mit der Nase im Gesetzestext zu bohren.
Während ich in meinem ersten Studium der Politikwissenschaften regelmäßig Erfolgserlebnisse verbuchen konnte, wenn ich Foucault oder Luhmann verstanden hatte (oder zumindest so tun konnte, als ob), komme ich in der Rechtswissenschaft jede Woche an meine Grenzen. Ich hatte immer passable Noten, ein 1,1er Abi und mein erstes Magisterstudium mit einem „Gut“ bestanden. Ich dachte, ich könnte alles schaffen. Inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher.
Sätze wie „Sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Wiederherstellung des die Klage abweisenden Urteils des LG“, die mir früher in jeder wissenschaftlichen Arbeit rot angestrichen worden wären, gelten jetzt als State of the Art.
Schwurbelsätze und doppelte Verneinungen sind die Königsdisziplin des Klugscheißens.
Wenn ich dann doch mal genauer nachfrage, warum dieses oder jenes so und nicht anders begründet wurde, wird gerne auf den lieben Herrgott verwiesen: Auch bekannt als BGH. Und was der BGH begründet hat, das wird dann auch zitiert und nicht mehr hinterfragt. Das Urteil wird verteilt wie die Oblaten in der katholischen Kirche. Friss oder stirb.
„Naja, aber Randnummer 23 klingt für mich jetzt nicht besonders schlüssig, um ehrlich zu sein!“ – „Der BGH hat sein Urteil begründet.“ – „Hm, ist das nicht konträr zu dem Urteil aus dem Jahre 2018?“ – „Der BGH wird wohl seine Gründe haben.“ – „Ich verstehe nicht ganz.“ – „Lesen Sie sich zuhause das BGH-Urteil durch, dann wird Ihnen sicher einiges klar.“
Alleinegelassenwerden als didaktische Maßnahme
Statt mich als Quereinsteigerin da abzuholen, wo ich stehe (immer öfters am Rande des Nervenzusammenbruchs, tbh.), wird nicht einmal versucht so zu tun, als ob meine Position als Außenstehende relevant wäre. Als Nicht-Staatsexamensinhaberin mit fachfremden Abschluss werde ich im deutschen Rechtssystem trotzdem höchstens Sekretärin. Es gibt wenige Jobs, die ohne Staatsexamen besetzt werden – selbst, wenn es sich um einen administrativen Verwaltungsjob handelt. Warum mich dann also noch weiter quälen? Warum dann trotzdem in die Materie des Geistigen Eigentums und Gewerblichen Rechtsschutz eintauchen?
Weil ich eigentlich angetreten bin, um den Access to Legale Justice Gap zu verkleinern. Weil ich es nicht akzeptieren wollte, dass das Recht – das ja eigentlich „für alle“ da ist – nur von zugeknöpften Akademikern verstanden wird, die Wörter wie „terminieren“ zur Vereinbarung eines Treffens im Biergarten verwenden – als ob wir im 19. Jahrhundert leben.
Ich finde juristische Themen immer noch wahnsinnig spannend und wichtig. Sie tangieren jeden Bereich unseres, ja, auch meines Lebens und ich möchte nicht für jeden Furz bei der Verbraucherzentrale anrufen müssen. Jura emanzipiert mich, im besten Falle.
Doch die Motivation, mich damit hauptberuflich zu beschäftigen, hat sich seit Beginn meines Studiums leider verabschiedisiert. Weil nicht auf die Bedürfnisse von Nicht-Juristen eingegangen wird, und weil uns das Gefühl vermittelt wird, dass wir hier ganz einfach falsch und unerwünscht sind. Weil wir stören, mit unserer „unpräzisen“ und „flapsigen“ Sprache. Weil wir unsere Perspektive mitbringen, einbringen und auch einfordern. Das juristische System ist (in 9 von 10 Fällen) auf Leistungsfetischismus, Gehorsam und Prüfungsergebnisse ausgerichtet, und nicht an interdisziplinärer Praxis. Die Juristerei soll so bleiben, wie das Wahlprogramm der CDU: starr, weltfremd, elitär und machterhaltend.
Wer sich also wundert, dass Laien „keine Ahnung von Jura haben“, … Sorry, ich muss noch einmal ansetzen: Es wundert niemanden, nicht einmal die Lehrenden selbst, dass Laien keine Ahnung von Jura haben.
Zu diesem Zeitpunkt meines Lebens bin ich davon überzeugt, dass das so gewollt ist – sonst hätte man längst angefangen, die Dinge zu verändern. Sonst gäbe es bereits leichte Sprache für Jura, unzählige Blogs zur Aufarbeitung komplexer Urteile und Positionen in Unternehmen, die fachverwandte oder fachergänzende Studienabschlüsse (LL.B., LL.M.) der Menschen anerkennen, die in unserer Gesellschaft an einer besseren Gesellschaft arbeiten wollen. Die sich nicht über die Menschen, die sie unterrichten, erheben, sondern rechtliches Wissen so erklären können, dass auch mein bester Freund weiß, wie er morgen zu seinem gottverdammten Recht kommt.
Vielleicht liegt das größte Problem der Juristerei darin, dass Juristen selbst nicht zugeben können, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Als ob es eine Schande wäre, nicht bloß Jurist, sondern auch Mensch zu sein.
Was für eine Sorte Mensch entschließt sich, ein Gebiet zu wählen, das – so scheint es mir – vorsätzlich dazu beiträgt, dass es so wenige Menschen wie möglich verstehen?