Gesetze sind immer sehr abstrakt gehalten, damit möglichst viele Alltagssituationen darunter erfasst werden können. Diese abstrakten Gesetze werden dann auf konkrete Einzelfälle aus der Praxis angewendet (diesen Vorgang nennen die Juristen übrigens „Subsumieren“). Landet so ein Einzelfall dann vor einem Gericht, entstehen durch Rechtsprechungen Entscheidungen, wie z.B. Urteile. Diese dienen künftig als Orientierung für ähnliche Fälle und konkretisieren somit die abstrakten Gesetze.
Hierzu ein Beispiel:
ABSTRAKTES GESETZ: In § 224 des Strafgesetzbuches ist die gefährliche Körperverletzung geregelt. Diese liegt u.a. dann vor, wenn man eine Körperverletzung mit einer Waffe oder einem anderen gefährlichen Werkzeug begeht. Aber was ist denn ein „gefährliches Werkzeug„? Wie ihr seht, ist das sehr abstrakt.
KONKRETISIERUNG: Ein gefährliches Werkzeug ist z.B. ein Messer oder auch ein Hammer. Klar, oder? Der Bundesgerichtshof hat aber auch schon entschieden, dass sogar ein Gürtel oder eine über den Kopf gestülpte Plastiktüte so ein Werkzeug sein kann. Und was ist z.B. mit der Faust eines Profiboxers oder einer unbeweglichen Wand, gegen die man den Kopf des Opfers schlägt?
Wie ihr vielleicht jetzt schon merkt, kann man sich hier richtig gut streiten! Und das machen wir Juristen auch enorm gerne und sehr oft! Wir bezeichnen solche Situationen dann als „strittig“ oder „Meinungsstreitigkeit“ und teilen das häufig in „h.M. (=herrschende Meinung)“ und „MM. (=Mindermeinung)“ auf.
Sollte es gar keine einschlägige Rechtsprechung als Orientierungshilfe geben, ist teilweise sehr viel Kreativität, das rechtliche Bauchgefühl und die Argumentationsstärke eures Anwalts / eurer Anwältin umso gefragter!
Vielleicht versteht ihr nun auch, warum wir so häufig „Es kommt darauf an„ sagen und warum ihr oftmals lange warten müsst, bis wir euch eine Antwort geben können. Wären Gesetze alleine immer so klar, würde es schließlich gar keine Gerichte geben! Jura ist Detailarbeit, erfordert viel Recherche und auch nur ein winziger Einzelfallumstand kann schon dazu führen, dass die Rechtslage ganz anders zu bewerten ist. Denn eine Plastiktüte ist schließlich nicht immer ein „gefährliches Werkzeug“.