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Wie kommt ein Krimineller zu seiner Strafe?

Regelmäßig kommt es vor, dass ein Mensch für eine Tat hinter Gitter kommt, während ein anderer nach einer vermeintlich schlimmeren Tat mit einer Bewährungsstrafe „davonkommt“. Genauso ist es möglich, dass zwei Personen, die den gesetzlichen Tatbestand des gleichen Verbrechens erfüllen (z.B. beide einen Raub nach § 249 StGB begangen haben), zu verschiedenen Strafen verurteilt werden. Wie kann das sein?

 

Manch einer vermutet dahinter – nicht zuletzt in den Kommentarspalten von Posts in Social Media Plattformen – gar eine offenbare Art von Willkür oder stellt die Justiz samt ihrer Vertreter gleich grundsätzlich in Frage.

 

Tatsächlich steckt hinter der sogenannten Strafzumessung – also der Art und Weise wie ein Straftäter vom Gericht verurteilt wird – aber ein transparentes System mit klar voneinander abgrenzbaren Schritten, die einzeln durchgegangen werden, um eine der Tat und Schuld des Angeklagten angemessenen Strafe[1] festzulegen.

 

Vorab sei gesagt, dass man beim Nachvollziehen der Schritte erst einmal Abstand vom eigenen Gerechtigkeitsempfinden nehmen muss. Natürlich darf jenes nicht außer Acht gelassen werden und sollte jedenfalls dann, wenn man zu einem Ergebnis (einer konkreten Strafe) gekommen ist, als Korrektiv herangezogen werden. Ein Urteil ergeht ja schließlich ausdrücklich im Namen des Volkes, schon allein deshalb ist es unbedingt notwendig, dass jeder Normalbürger nachvollziehen kann, wie eine Strafe gebildet wird.
Von vornherein muss man jedoch neutral an die Sache herangehen, damit ausgeschlossen ist, dass durch eigene Meinungen oder Vorurteile ein willkürliches oder voreingenommenes Urteil ergeht.

 

Wie wird also konkret vorgegangen?

Am Ende einer Gerichtsverhandlung, nach den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung sowie dem letzten Wort des Angeklagten, stellt das Gericht fest, wie sich die Tat, wegen der eine Person vor Gericht angeklagt worden ist, tatsächlich zugetragen hat. Dabei dürfen in erster Linie nur die Beweise (also Zeugenaussagen, ein mögliches Geständnis, Sachverständigengutachten usw.) herangezogen werden, die in der Verhandlung – also vor Ort im Gerichtssaal (!) – vorgebracht worden sind.

 

Das Gericht kann dann zu drei möglichen Ergebnissen gelangen:
  1. Freispruch
  2. Einstellung des Verfahrens (z.B. wegen Verjährung und gegebenenfalls unter Auflagen, wie der Zahlung eines Geldbetrages an eine wohltätige Organisation)
  3. Verurteilung

Nur im letzten Fall – wenn das Gericht also aus dem Inhalt der Hauptverhandlung die Überzeugung geschöpft hat, dass der Angeklagte schuldig ist – wird eine Strafe gebildet.

 

Was will man mit der Strafe erreichen?

Dazu haben sich wohl seit Menschen Gedenken Leute den Kopf zerbrochen. Die wichtigsten Punkte, zu denen man dabei immer wieder gelangt, sind eine gewisse Form der Vergeltung, die Verhinderung weiterer Taten des Täters oder der Nachahmung durch Dritte, und die Resozialisierung. Man möchte, dass der Täter für das Böse, das er getan hat, büßt, in gewisser Weise leidet und damit vielleicht sogar nachempfindet, was er dem Opfer oder dessen Angehörigen angetan hat (repressiver Vergeltungsgedanke). Außerdem hofft man, mit dem Vorgehen andere abzuschrecken (Präventionsgedanke). In unserer aufgeklärten Welt kommt aber besonders der soziale Gedanke zu tragen, sodass man sich mit der Persönlichkeit des Täters selbst auseinandersetzt. Man möchte sie/ihn zurück auf den rechten Weg bringen und langfristig (wieder) zu einem Teil der Gesellschaft machen (Resozialisierungsgedanke).

 

Wie funktioniert dann die konkrete Strafzumessung?

Steht also für das Gericht fest, dass der Tatbestand einer bestimmten strafrechtlichen Vorschrift erfüllt ist, indem z.B. das Verbrechen[2] des Raubes begangen wurde, so gibt die Vorschrift selbst den Strafrahmen vor. In diesem Strafrahmen soll sich das Gericht bei der Strafzumessung bewegen.

 

Nach § 249 Abs. 1 StGB beginnt dieser Rahmen für einen Raub bei einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr. Es darf also keine geringere Freiheitsstrafe und grundsätzlich auch keine bloße Geldstrafe verhängt werden.

 

Nun ist zu beurteilen, was für und was gegen den Täter spricht (im Hintergrund steht, was man mit der Strafe eigentlich erreichen möchte, s.o.).

 

Für den Täter und damit für eine möglichst geringe Strafe kann z.B. sprechen:

    • ein Geständnis des Täters
    • Reue
    • Versuche der Wiedergutmachung gegenüber dem Opfer
    • geänderte Lebensumstände nach der Tat, die eine positive Zukunftsprognose bedeuten (und damit ausschließen, dass der Täter erneut straffällig wird).

 

Negative Aspekte, die für eine höhere Strafe sprechen, können hingegen sein:

    • das Ausmaß des Schadens
    • frühere (ähnliche) Delikte desselben Täters und deren konkrete Anzahl sowie eine nur kurze Zeit zwischen den begangenen Taten – also eine negative Zukunftsprognose, die erneute Straffälligkeit erwarten lässt

 

Alle diese Punkte müssen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden und führen in ihrer Gesamtabwägung schließlich zum Ergebnis ob die Tat eher am unteren Rand des Strafrahmens anzusiedeln ist oder doch eher am oberen oder aber auch zwischendrin.

 

Warum kommt es trotz der systematisch geregelten Vorgehensweise zu unterschiedlichen Ergebnissen?

Das liegt zum einen – wie schon angeklungen ist – an den unterschiedlichen individuellen Taten und Tätern. Das lässt sich an folgenden Beispielen veranschaulichen:

 

Es kann etwa sein, dass eine Person vorbestraft ist und wegen einer Tat (z.B. einer Sachbeschädigung) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Während der Bewährungsdauer könnte sich dieselbe Person nur ein (abstrakt betrachtet) geringes Fehlverhalten zu Schulden kommen lassen, wie ohne ein Ticket zu lösen Zug zu fahren.

 

Dieses Schwarzfahren könnte die Strafnorm des Erschleichens von Leistungen erfüllen und wiederum dazu führen, dass die Bewährung für die Freiheitsstrafe wegen der vorangegangen Sachbeschädigung aufgehoben wird und der Täter die Freiheitsstrafe dann tatsächlich absitzen müsste.

 

Ohne sich intensiver mit den Umständen und der Vorgeschichte beschäftigt zu haben, könnte für die Allgemeinheit so der Eindruck entstehen, der Täter wäre wegen Schwarzfahrens ins Gefängnis gesteckt worden.

 

Gleichzeitig könnte ein anderer Fall so gelagert sein, dass ein Täter sich in der Vergangenheit noch nie etwas zu Schulden hat kommen lassen. Eines Tages begeht er bei einer nächtlichen Auseinandersetzung in einer Kneipe eine Körperverletzung.

 

Im Rahmen der Verhandlung gegen ihn als Angeklagten, könnte sich herausstellen, dass er in seinem sozialen Umfeld gefestigt ist, in einer intakten Familie lebt und einer geregelten Arbeit nachgeht, die Tat zutiefst bedauert und sogar an das Opfer freiwillig Geld zur Wiedergutmachung des Schadens gezahlt hat. Wenn also insgesamt von einer positiven Sozialprognose auszugehen wäre, könnte es sein, dass eine Geldstrafe für tat- und schuldangemessen erachtet würde, um den Täter zu bestrafen und zu verhindern, dass er in Zukunft wieder straffällig wird.

 

„Ohne sich intensiver mit den Umständen und der Vorgeschichte beschäftigt zu haben, könnte für die Allgemeinheit so der Eindruck entstehen, der Täter wäre wegen Schwarzfahrens ins Gefängnis gesteckt worden.“

 

Es kommt also nicht nur auf die Tat an, sondern besonders auf den Täter, sein Leben und Verhalten vor und nach der Tat, sowie seine Sozialprognose.

 

Zuletzt soll nicht verschwiegen werden, dass die Persönlichkeiten des Gerichts einen Einfluss auf die konkrete Strafe haben. Richter sind grundsätzlich frei darin, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Dies führt unweigerlich zu einem subjektiven Einschlag, der sich in einem Urteil widerspiegeln kann. Anders ist es z.B. in Großbritannien und den USA. Dort gilt das sogenannte „Case Law“, wo durch Richterrecht (also einzelne Urteile) Präzedenzfälle den Rahmen für nachfolgende, gleich gelagerte Fälle bilden. In Deutschland ist ein Gericht hingegen grundsätzlich nicht an eine Entscheidung eines anderen Gerichts in einem unabhängigen vergleichbaren Fall gebunden.

 

[1] Formulierungen aus dem Gerichtssaal sind in diesem Beitrag fortfolgend kursiv gesetzt.
[2] Ein Verbrechen ist ein Delikt, das mindestens mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bedroht ist bzw. im Gesetz ausdrücklich als „Verbrechen“ bezeichnet ist. Weniger schwerwiegende Delikte sind regelmäßig sogenannte „Vergehen“.

 

 

KATHARINA ERNSTBERGER

ist Volljuristin und arbeitet in einem  Forschungsinstitut im Vertragsrecht, wo der Großteil  ihrer Arbeit auf Englisch erfolgt.

 

Als Fan des UK hat sie während der Referendarszeit eine Station in einer Londoner Rechtsabteilung verbracht.

 

Sie findet es besonders wichtig, Mitmenschen für die Juristerei zu begeistern  und die Prinzipien des Rechtsstaates nahezubringen, damit Fake News und Verschwörungsideologien möglichst keinen Anklang finden.

Die juristische Zeitschrift für Nichtjuristen

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