…DASS DIGITALISIERUNG NICHT WEH TUN MUSS.
MARAJA FISTANIC
ist als CMO einer Legal Tech Firma die Schnittstelle zw. Marketing und Digitalisierung im rechtlichen Bereich
Der Anwalt, der einsame Wolf. Der Workaholic, der immerzu nach Perfektion und makelloser Reputation strebt. Bei dem Titel und Ego den meisten Platz auf der Visitenkarte einnehmen. Mit dem eine Unterhaltung viel zu schnell in messerscharfe Analyse mit knallharten Argumenten abdriftet. Der Paragrafen-Salat und Logik-Schwerter perfekt einsetzen kann. Ach, und Schlaf? Völlig überbewertet. Urlaub? Das heißt nur „nicht im Büro anwesend sein“.
Das ist natürlich maßlos überspitzt, aber beinhaltet meines Erachtens den Großteil an Vorurteilen, die Anwält*innen gegenüber gepflegt werden. Und dieser Artikel soll kein Anwalts-Bashing werden – sonst hätte ich mir wahrscheinlich längst eine andere Branche gesucht 😉
Aber diese Vorurteile gehören zum Kern dessen, was ich in diesem Beitrag loswerden will: Digitalisierung muss nicht weh tun. Und es ist „people’s business“.
Nicht alle Vorurteile stimmen und natürlich treffen sie nicht auf jeden Anwalt zu. Doch haben sie ihren Ursprung irgendwo zwischen trillionen Semestern Gesetze wälzen, im richtigen Moment die richtige Zeitform des Verbs zu wählen, und sich jahrelang auf diese eine Prüfung vorbereiten, von der dann der restliche Werdegang abhängt. Ich ziehe jedes Mal meinen Hut, denn für mich wäre das sicher nichts. Dafür muss man durchhalten können und hartnäckig sein. Da bleibt nicht viel Platz für Emotion. Danach „muss“ man ja eigentlich alles können. Und auf einmal kommt jemand um die Ecke und behauptet, dass sich eine Vielzahl an Aufgaben, die dich bisher gequält haben, automatisieren und digitalisieren lassen – Damoklesschwert „Legal Tech“. Dass da die Alarmglocken zu schrillen beginnen, ist kaum überraschend.
„Warum soll ich denn was ändern, wenn es bisher wunderbar funktioniert? […]“ Wenn das die aktuelle Stimmung ist, sage ich: Gratulation! Es gibt keinen besseren Zeitpunkt mit Veränderungen zu beginnen.
Doch Digitalisierung ist nicht der Erzfeind und auch nicht das Abschaffen des anwaltlichen Berufs. „Legal Tech“ ist nicht das nächste Buzzword, das einfach auf der Webseite und in Prospekten auftauchen muss. Und kein Anwalt kann das Thema Digitalisierung auf seiner To-Do-Liste ins Backlog schieben. Fairerweise sind sich viele Anwälte dessen auch bewusst, aber wo anfangen?
Sich nicht mit Legal Tech zu beschäftigen, verhindert nur, dass diejenigen, die nicht zur Veränderung bereit sind, sich selbst abschaffen. Es ignoriert die Anforderungen der Mandantschaft und der jungen Generation, die diesem Beruf nachgehen möchten. Und so verhält es sich mit der digitalen Transformation der Rechtsbranche genauso wie in allen anderen Branchen auch: Es geht letztendlich darum, die Menschen abzuholen und in der Veränderung zu begleiten. Denn Veränderung ist für die meisten erst einmal „blöd“ oder zumindest unbequem.
„Warum soll ich denn was ändern, wenn es bisher wunderbar funktioniert? Ich bin erfolgreich. Ich verdiene gutes Geld. Ich bekomme tolle Mandate.“ Wenn das die aktuelle Stimmung ist, sage ich: Gratulation! Es gibt keinen besseren Zeitpunkt mit Veränderungen zu beginnen, als wenn gerade alles „gut läuft“. Geht es bergab (Mandanten gehen flöten, beschweren sich über Stundensätze oder die Abrechnung generell oder noch schlimmer: ein Anwalt kann keine neuen Mandate mehr annehmen, weil sein Tag nur 24 Stunden hat und er schon jetzt gefühlte 20 Stunden davon arbeitet), ist der Druck so groß, dass es besonders schmerzhaft wird. Und zwar in vielerlei Hinsicht: im Sinne des Budgets, der Zeit, der Stimmung (ja, auch die darf man nicht vergessen im Arbeitsleben).
Und auch in meinem Neujahrswunsch für den Legal Tech Verband Deutschland, dessen Vorstandsmitglied ich bin, habe ich genau das zum Ausdruck gebracht: „Ich wünsche mir einen Hands-on-Approach, quasi einen Ruck durch die Anwalts-Kanzleien-Welt in Bezug auf Legal Tech: Sich diesen Begriff nicht mehr nur als „Buzzword“ auf die Fahne (oder Website) schreiben zu wollen, sondern als Mehrwert für eigene Arbeitsprozesse und Mandanten anzupacken.“
Das bedeutet demnach nicht, dass man „einfach nur“…
– genug Geld ausgeben muss;
– die eine richtige Person einstellen soll;
– die Marketing-Abteilung die Website umschreiben lässt.
Es bedeutet, sich die richtigen Kompetenzen ins Haus zu holen – denn auch als Anwalt kann und muss man nicht alles können. Das kann ein externer Dienstleister sein oder auch interne, angestellte Arbeitskraft, die Experte in digitaler Transformation im rechtlichen Bereich ist und das Ziel hat, Vorbilder auf der Partner-Ebene zu ebnen sowie alle Mitarbeitenden einer Kanzlei im Prozess zu hören und abzuholen.
Doch Digitalisierung ist nicht der Erzfeind und auch nicht das Abschaffen des anwaltlichen Berufs.
Es geht letztendlich darum, die Menschen abzuholen und in der Veränderung zu begleiten. Denn Veränderung ist für die meisten erst einmal „blöd“ oder zumindest unbequem.
Das klingt in der Theorie einleuchtend. Doch wie kann das in der Praxis aussehen? Ich möchte ein für mich naheliegendes Beispiel geben: eine Kanzlei entscheidet sich dazu, mit uns als Software-Anbieter zusammenzuarbeiten. LegalTegrity ist das digitale Hinweisgebersystem für den Mittelstand. Das bedeutet, Unternehmen können ihren Mitarbeitern einen anonymen Meldekanal für interne Rechtsverstöße anbieten und gleichzeitig die Anforderungen der EU-Whistleblower-Richtlinie sowie des Lieferkettensorgfalts-pflichtengesetzes erfüllen. Allein von der Richtlinie sind in Deutschland rund 90.000 Unternehmen betroffen (den öffentlichen Bereich ausgenommen). Das bietet ein höchst attraktives Geschäftspotenzial für jeden Anwalt, der Unternehmen berät. Denn der deutsche Mittelstand vertraut seinem Berater des Vertrauens und fragt ihn, wie er neue rechtliche Anforderungen leicht und sicher erfüllen kann.
Deshalb haben wir uns bei der Entwicklung unseres Tools bewusst dafür entschieden, nicht mit dem Anwalt in Konkurrenz zu treten. Ganz im Gegenteil. Wir profitieren vom Vertrauen, das die Anwälte bei ihrer Mandantschaft genießen. Der Anwalt profitiert von unserer Software, weil er seine Dienstleistung besser skalieren und einfach erledigen kann. Seine Arbeit wird erleichtert, beispielsweise durch die Administration aller Hinweisgebersysteme seiner Mandanten innerhalb eines Dashboards und einer essenziellen Unterstützung im Sinne des automatischen Fristenmanagements. Um die Einhaltung der nationalen Gesetze für Hinweisgeberschutz muss er sich auch nicht kümmern, das ist durch die Software abgedeckt. Als Ombudsperson konnte er bisher nur seine E-Mail-Adresse und Handynummer zur Verfügung stellen, unter der er dann auch immer erreichbar sein muss. Skalierungspotenzial Fehlanzeige.
Mit der Digitalisierung dieser Dienstleistung kann er sich auf das „People’s Business“ konzentrieren, auf die Beratung: er hat durch das Thema Whistleblowing die Chance, Cross-Selling zu betreiben und für seinen Mandanten beispielsweise auch die Beurteilung und Bearbeitung der eingehenden Hinweise und weitere Elemente des Compliance Managements zu übernehmen.
Also ein kleines Projekt für den Start: kleine Umstellungen im Arbeitsalltag einführen, schnelle Erfolgserlebnisse verbuchen (ob es neue Mandanten, gesparte Zeit, gespartes Geld oder gesparte Nerven für Aufgaben sind, die wirklich keiner gern macht, spielt in dem Moment keine große Rolle).
Ein Win-Win für alle: Ein simpler Einsatz von Software, von der Anwalt und Mandantschaft gleichermaßen profitiert. Digitalisierung, von der alle langfristig profitieren. Digitalisierung, die kein Upfront-Investment oder extra Projekt-Team benötigt. Digitalisierung, die nicht weh tut. „Aller Anfang ist schwer.“ gilt in diesem Fall einfach nicht. Das nächste Digitalisierungsprojekt sieht dann schon nicht mehr ganz so bedrohlich aus.
Digitalisierung, von der alle langfristig profitieren. Digitalisierung, die kein Upfront-Investment oder extra Projekt-Team benötigt. Digitalisierung, die nicht weh tut. „Aller Anfang ist schwer“ gilt in diesem Fall einfach nicht.