Stell Dir vor, Du gehst zu Deinem Postkasten und holst daraus einen gelben, dicken Umschlag: Du wurdest auf die Zahlung von Schadensersatz verklagt, weil jemand angeblich Verletzungen in einem Unfall erlitten hat, in dem Dein Auto verwickelt war. Du bist ganz erstaunt, weil Du das Auto ja bereits vor 13 Jahren verkauft hast. Ist vielleicht Verjährung eingetreten?
Was ist Verjährung und wozu braucht man sie?
Nach Ablauf der Verjährungsfrist tritt die Verjährung ein. Dann kann die Person, die eigentlich etwas leisten müsste, diese Leistung verweigern (sog. Leistungsverweigerungsrecht).
Das Ziel der Verjährung ist einerseits, zur Stabilität des gesellschaftlichen Lebens beizutragen: man muss nicht das ganze Leben lang befürchten, dass ein Briefträger mit Forderungen aus alten Geschichten um die Ecke kommt.
Andererseits sorgt das Konzept der Verjährung dafür, dass Abläufe straffer und effizienter gestaltet werden: wenn ein Automechaniker das Geld für seine Reparatur bezahlt haben möchte, sollte er die Rechnung rechtzeitig rausschicken. Denn nach Ablauf der Verjährungsfristen, kann es unter Umständen nicht mehr möglich sein, die Forderung durchzusetzen.
Wie lange dauert es, bis die Verjährung eintritt?
Die Verjährung tritt grundsätzlich nach dem Ablauf von drei Jahren ein (Regelverjährungsfrist), mit zahlreichen Ausnahmen und vielzähligen Ausnahmen von den Ausnahmen. Die konkreten Verjährungsfristen können durch ein Gesetz bestimmt oder zwischen den Beteiligten vereinbart werden.
So verjähren zum Beispiel Forderungen aus einem Kauf- oder Werkvertrag grundsätzlich nach 2 Jahren. Hingegen hat ein Mieter nur 6 Monate Zeit, um gegen den Vermieter Aufwendungen, die er auf die Wohnung geleistet hat, ersetzt zu verlangen. Das Opfer einer Körperverletzung kann noch bis zu 30
Jahre nach der Tat Schadensersatzansprüche gegen den Täter geltend machen.
Wie berechne ich die Verjährung?
Die Berechnung der Verjährung kann in zwei Schritten erfolgen, indem der Anfang und das Ende des Laufs der Verjährungsfrist bestimmt werden.
1. Schritt: Bestimmung des Beginns der Verjährungsfrist
Im Regelfall beginnt die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Berechtigte davon wusste oder zumindest hätte Kenntnis erlangen können.
Das heißt, man ermittelt erstmal, wann der Anspruch entstanden ist – also zum Beispiel, wann der Autounfall passiert ist, die Reparatur stattgefunden hat oder Autoverkauf abgewickelt wurde – und dann nimmt man den 31. Dezember des jeweiligen Jahres. Wenn also beispielsweise ein Auto am 20. Januar 2008 verkauft wurde, beginnt die Verjährungsfrist für Ansprüche aus dem Kaufvertrag am 31. Dezember 2008.
Ausnahmsweise kann die Verjährungsfrist auch an einem anderen Tag als dem letzten Tag eines Jahres, beginnen. Beispielsweise läuft die Verjährungsfrist für manche Ansprüchen aus einem Mietvertrag ab dem Zeitpunkt, in dem der Vermieter die Sache zurückerhält oder für Ansprüche wegen Körperverletzung ab der Verletzungshandlung.
2. Schritt: Bestimmung des Ablaufs der Verjährungsfrist
Wenn das Datum des Beginns der Verjährungsfrist berechnet ist, zählt man ab dem Tag die jeweilige konkrete Dauer der Verjährungsfrist, also zum Beispiel zwei oder 30 Jahre oder sechs Monate. Die Verjährung tritt dann am Folgetag ein. Erst ab diesem Tag hat der Verpflichtete das Recht, die Erbringung der Leistung zu verweigern.
Beispiel:
Am Silvesterabend des 31. Dezember 2020 sind die Forderungen mit der Regelverjährungsfrist von drei Jahren verjährt, die im Jahre 2017 entstanden sind. Die Verjährung selbst ist am 1. Januar 2021 eingetreten.
Laufen die Verjährungsfristen unaufhaltsam oder können sie aufgehalten werden?
Die Regel ist, dass die Verjährung unaufhaltsam läuft. Es gibt allerdings Ausnahmen: Hemmung der Verjährung und Unterbrechung der Verjährung.
- Hemmung der Verjährung bedeutet, dass der Lauf der Verjährungsfrist eine Pause einlegt. Das ist dann der Fall, wenn zum Beispiel die Parteien über den Anspruch verhandeln oder wenn ein Verbraucher eine Beschwerde bei einer Verbraucherschlichtungsstelle einreicht.
- Unterbrechung der Verjährung bedeutet, dass die Verjährung von Anfang an neu zu laufen beginnt, und zwar unabhängig davon, wieviel Zeit bereits vergangen ist. Zur Unterbrechung der Verjährung führen kann, wenn zum Beispiel:
-
- eine Partei die Forderung anerkennt, z.B. durch eine Abschlagzahlung oder eine Sicherheitsleistung
- der Gläubiger seinen Anspruch gerichtlich geltend macht, also z.B. rechtzeitig Klage einreicht. Eine schlichte Mahnung ist nicht ausreichend.
- der Gläubiger gegen den Schuldner in einem Mahnverfahren ein Mahnbescheid erwirkt.
„Man muss nicht das ganze Leben lang befürchten, dass ein Briefträger mit Forderungen aus alten Geschichten um die Ecke kommt. Andererseits sorgt das Konzept der Verjährung dafür, dass Abläufe straffer und effizienter gestaltet werden.“
Bonus: Verjährung im Strafrecht
Die oben beschriebenen Regeln der Verjährung gelten für den Bereich des Zivilrechts. Im Strafrecht (siehe Legal Layman, Ausgabe 1/2020, S. 7) gibt es auch die Institution der Verjährung und vom Prinzip her ist sie dem sehr ähnlich, was oben beschrieben wurde: nach Ablauf einer bestimmten, gesetzlich vorgeschriebenen Zeit darf der Täter nicht mehr strafrechtlich belangt werden.
Im Strafrecht wird zwischen der sog. Verfolgungsverjährung und der sog. Vollstreckungsverjährung unterscheiden.
- Verfolgungsverjährung sorgt dafür, dass nach Ablauf einer Frist ein Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren überhaupt nicht eingeleitet werden kann. Beispielsweise kann ein Autohalter, der innerhalb von drei Monaten nachdem er ein Knöllchen erhalten hat, von den Behörden nichts hört, die Sache als erledigt betrachten. Ein Mord dagegen verjährt nie.
- Vollstreckungsverjährung verursacht wiederum, dass nach einer bestimmten Zeit nach der Verurteilung des Täters, die Strafe nicht mehr vollstreckt werden kann.
Bonus: Verjährung im Strafrecht
Anspruch | Beispiel | Frist | Beginn des Laufs der Verjährungsfrist |
Rechtsgrundlage |
Kaufpreis, Werklohn, Arbeitslohn | Preis für einen neuen Wagen, Vergütung für die Fliesenverlegung | 3 Jahre | Ablauf des Entstehungsjahrs | §§ 195, 199 BGB |
Gewährleistungsansprüche aus einem Kauf | Niedrigere Motorleistung als zugesagt | 2 Jahre | Übergabe der Sache | § 438 BGB |
Gewährleistungsansprüche aus einem Werkvertrag | Mangelhafte Autoreparatur, ungenaues Streichen von Zimmerwänden | 2 Jahre | Abnahme des Werks | § 634a BGB |
Gewährleistungsansprüche beim Kauf einer Immobilie | Schlecht isolierter Keller, abfallende Fliesen | 5 Jahre | Übergabe der Sache | § 438 Abs. 1 Nr. 2 BGB |
Ansprüche aus einem Reisevertrag | Schmutziger Pool, Ungeziefer im Hotel | 2 Jahre | Ende der Reise | § 651g BGB |
Fluggastrechte | Annullierung oder eine große Verspätung des Fluges | 3 Jahre | Ende des Entstehungsjahrs | §§ 195, 199 BGB |
Rückforderungsansprüche | Kaution für eine Mietwohnung | 3 Jahre | Ende des Entstehungsjahrs | §§ 195, 199 BGB |
Rechtskräftig festgestellte Forderungen | Urteil, Vollstreckungsbescheid | 30 Jahre | Rechtskraft | §§ 197 Abs. 1 Nr.3, 201 BGB |
Schadensersatzansprüche wegen Körperverletzung | Reha-Kosten, Verdienstausfall | 30 Jahre | Verletzungshandlung | § 199 Abs. 2 BGB |
Zahlungsforderungen gegen Patienten | Zahlung für eine Zahnbehandlung | 3 Jahre | Ende des Jahres, in dem die Rechnung dem Patienten zugestellt wurde | §§ 195, 199 BGB, 12 GOÄ |
DR. MAŁGORZATA ANNA HARTWIG, LL.M.
Legal Counsel EMEA bei ADM
Sie ist Rechtsanwältin mit Zulassung in Deutschland und Polen und mit Erfahrung in internationalen Wirtschaftskanzleien sowiein Rechtsabteilungen der Fortune Global 500Unternehmen.
Sie ist generalistisch aufgestellt, mit Fokus auf Risk Management, Sustainability und die Rolle des Legal Counsels.