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MEIN HOLOGRAMM UND ICH

 

Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich manchmal selbst nerve. Kein anderer Mensch auf Gottes Erdboden würde das in solch einer Perfektion zustandebringen. In der letzten Ausgabe hatte ich ja angekündigt, dass ich meine Kolumne wahrscheinlich sowieso bis kurz vor knapp prokrastinieren und am Ende etwas abliefern werde, das ich ja noch sooo viel besser hätte machen können. Bei all meinen siebentausend Ideen ist einfach nie die perfekte mit dabei. Komisch!? „Aber nee, Anna. Das passiert dir diesmal nicht. Los, mach!“ – Also habe ich tatsächlich früher meine Kolumne geschrieben. „Chapeau!“, dachte ich mir, „jetzt musst du dir die nächste Zeit zumindest darüber keine Gedanken mehr machen“. So. Und was ist dann passiert? Ich lese sie mir 2,5 Tage vor Veröffentlichung nochmal durch und stelle fest: Boah nee Anna. Ist irgendwie scheiße. Machste nochmal.

 

Jetzt sitze ich also da und schreibe sie wieder unter Zeitdruck und werde natürlich wieder etwas abliefern, was ich ja noch so viel besser hätte machen können. Ich erfülle also meine eigene Prophezeiung, obwohl – oder gerade weil – ich versucht hatte, sie ausnahmsweise mal nicht zu erfüllen. Ganz toll gemacht, Anna. Ganz toll. Jetzt soll mir nochmal ein Coach ankommen und mir erzählen, dass das mit dieser Selbstliebe ja total einfach sei. Mh, genau.

 

Wenn ich aber in den letzten Jahren irgendetwas gelernt habe, dann, dass ich es mir selbst sowieso nie recht machen kann. Wobei ich mein „Selbst“ jetzt auch erst einmal kurz definieren muss: Das ist nicht nur eine Persönlichkeit. Schön wär’s. Sondern ich habe irgendwie das Gefühl, ich habe so eine Art Hologramm von mir selbst neben mir stehen, das es eigentlich echt gut mit mir meint und mir andauernd sagt, was ich tun sollte und wie ich es tun sollte. „Anna, du solltest mehr Sport machen. Und du solltest dich gesünder ernähren – keine verarbeiteten Lebensmittel, gluten-, lactose- und glucosefrei. Dazu aber bitte noch bio, fairtrade und zero-waste. Und du solltest dich dringend noch intensiver weiterbilden – selbstverständlich in Jura. Dein Interesse für Astrophysik und Neurowissenschaften bringt dich kein bisschen weiter, lies stattdessen lieber mal bisschen mehr über Geschichte, Politologie und Sozialpsychologie. Und fang endlich mal mit dem Meditieren an. Leg dir eine durchdachte Content-Strategie zu. Tausche deinen lieblos angelegten iCalendar doch endlich mal gegen ein engelsgleiches Journal in zarten Pastellfarben. Und deine Visionen wirst du auch niemals erreichen, wenn du dir morgens weiterhin deinen Kaffee in Jogginghose ins Gesicht schüttest, um endlich mal wach zu werden – und auch dementsprechend auszusehen. Herrgott, Anna. So wird das nix.“

 

Wie ihr vielleicht schon merkt, bin ich mit meinen eigenen Erwartungen an mich selbst schon so überfordert, dass ich gar keine Zeit dazu habe, um auch noch die von anderen zu erfüllen. Keine 10 Leben würden ausreichen, um all das zu tun, zu wissen oder zu sein, was ich gerne würde, müsste oder zumindest sollte. Oh, und da war er wieder: der Weckruf an alle Personal-Coaches, die nun wie die Gremlins aus ihren Löchern gekrochen kommen und mir mit einem 5-Punkte-Power-Plan mit mir selbst helfen wollen. Bravo, Anna. Liebe Coaches und sonstige Besserwisser, ihr könnt euch gerne zu meinem Hologramm gesellen, wenn ihr wollt. Dann könnte ich euch alle gleichzeitig ignorieren. Denn das habe ich mittlerweile perfektioniert. Mein Hologramm sieht mir eine Weile dabei zu, wie ich seine ganzen genialen Ratschläge gekonnt überhöre und stattdessen einfach etwas vollkommen anderes mache. Es schüttelt permanent mit dem Kopf, fasst sich genervt an die Schläfen, läuft dann irgendwann lachend und weinend gleichzeitig zum Kühlschrank und holt sich ne Flasche Wein. Für den Weg zum Flughafen. Drei Wochen Bahamas. Ciao, Anna. Den Scheiß mach‘ ich nicht mehr mit.

 

Keine 10 Leben würden ausreichen, um all das zu tun, zu wissen oder zu sein, was ich gerne würde, müsste oder zumindest sollte.

 

Find ich super. So habe ich wenigstens meine Ruhe. Wir passen einfach nicht zusammen, mein Hologramm und ich. Es lenkt mich ständig von dem ab, was ich tun will, mit dem, was ich tun soll. Und meint auch noch, dass das das Beste für mich wäre. Ganz schön viel Meinung für so wenig Ahnung. Fürchterlich… Ja, und was passiert, wenn ich einmal auf einen dieser klugen Ratschläge höre? Genau. Dann sitze ich um 00:13 da und schreibe meine Kolumne nochmal neu. Es ist also schon eine leichte bis mittelschwere Katastrophe, wenn ich auf meine eigenen Ratschläge höre. Zu glauben, dass es dann bei denen von anderen besser ablaufen würde, wäre diagnostizierte Idiotie. Ein paar dieser Ratschläge habe ich übrigens mal aufgelistet:

 

    • „Anna, als Juristin solltest du dich auf gar keinen Fall persönlich zeigen.“
      (Schrumpft davon etwa das Gehirn?! Hab‘ ich was verpasst?!?)
    • „Anna, du musst spießiger werden.“ (1:1 Wortlaut)
    • „Anna, zu deinem Seminar morgen ziehste aber bitte keinen Rock oder ein Kleid an,
      sonst nimmt dich keiner ernst.“ (Bitte mal kurz wirken lassen.)
    • „Anna, das kannste so nicht machen, das haben wir noch nie so gemacht.“
    • „Anna, das kannste so nicht machen, das haben wir schon immer so gemacht.“
    • „Anna, du bist so meinungsstark, gib‘ dich mal ein bisschen neutraler.“ …und soooo vieles mehr.

 

Jaja. Ganz ehrlich: wenn ich auch nur 5% (!) aller noch so gut gemeinten Ratschläge – von mir selbst oder von anderen – befolgt hätte, würde ich jetzt vermutlich todunglücklich in einer altertümlichen Rechtsabteilung versauern und mir abends mit 500€-Scheinen die Tränen abwischen, bevor sie in meine Acerola-Quinoa-Bowl fallen. Für manche natürlich auch schön, klar. Für mich aber nicht. Denn meistens, wenn ich etwas so gemacht hatte, wie es von mir erwartet wurde, habe ich so einen innerlichen Drang verspürt, mein zufrieden grinsendes Hologramm mit einem gezielten Tritt ans Schienbein niederzustrecken. Kein Wunder also, dass ich mittlerweile zahlreiche Ratschlagsresistenzen entwickelt habe. Ich höre mir sie zwar immer wieder freiwillig oder unfreiwillig an, aber am Ende entscheide ich mich dann doch meist dafür, sie einfach nicht zu befolgen. Ist ja eigentlich auch ganz sinnvoll, denn andere haben natürlich immer leicht und gut reden – die müssen einen immerhin auch keine 24/7 ertragen, so wie man sich selbst.

 

Und selbst das ist bei dem ganzen, omnipräsenten Selbstoptimierungswahn schon nicht gerade einfach. Es gibt natürlich immer irgendwas, das man an sich selbst optimieren könnte. Aber kann man trotzdem nicht einfach mal zufrieden mit dem sein, was man schon ist, obwohl man weiß, dass alles ja noch so viel besser sein könnte? Ihr wisst schon, so nach dem Motto: „Ich bin super, so scheiße wie ich gerade bin!“. Am nächsten Tag ist man dann halt einfach ein bisschen weniger scheiße. Oder man schreibt eine Kolumne ein bisschen weniger scheiße. Das ist doch auch schon mal eine durchaus löbliche Entwicklung, oder nicht?! Ich für meinen Teil habe jedenfalls gelernt, dass es sich absolut nicht lohnt, darauf zu warten, bis ich es mir irgendwann mal selbst recht machen kann. Das wird sowieso nie passieren. Aber genau das war die wohl beste, entspannendste und gleichzeitig motivierendste Einsicht, die ich jemals hatte. Herrlich. Ich plädiere übrigens für mehr Anti-Gurus.

 

Ich kann also nur empfehlen: Haltet euch zur Abwechslung doch einfach mal an weniger Ratschläge und schickt euer Hologramm auch ab und an mal auf die Bahamas, wenn’s nervt. (Meins verschluckt sich übrigens gerade an seiner Bloody-Mary, bekommt einen Nervenzusammenbruch und ertränkt sich vermutlich gleich im Pool.)

 

 

 

 

 

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