„Der Chef muss immer im Laden sein!“
ist so eine Weisheit, die sich viele Gastronomen, Friseure und Inhaber örtlicher Boutiquen teilen. Nicht, weil sie an Kontrollzwängen leiden (die meisten jedenfalls), sondern weil sie ihren Kunden die Person hinter dem Angebot zeigen möchten. Deshalb dachte ich mir: Warum nicht auch hier?! Was spricht denn dagegen, den Lesern ein Gesicht zu dieser Zeitschrift zu geben?! Ich hatte dann eine Weile darüber nachgedacht und kam zu dem Ergebnis: VIELES!
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- Als Juristin macht man sowas nicht. Man macht’s einfach nicht. Wirkt bestimmt wieder unprofessionell oder so.
- Schreiben kostet Zeit und macht Arbeit.
- Ich muss mir ein Design zu dieser Rubrik überlegen.
- Eine Kolumne in einer juristischen Zeitschrift?! Was kommt als nächstes? „10 Gründe, warum Jurastudierende häufiger als Team zusammenarbeiten sollten“ in einer Unizeitschrift?! Ist doch verrückt.
- Höchstwahrscheinlich werde ich meinen Beitrag für diese Kolumne sowieso regelmäßig bis auf die allerletzte Woche vor Veröffentlichung prokrastinieren, bis dahin permanent ein schlechtes Gewissen mit mir herumtragen und am Ende etwas abliefern, das ich ja noch sooo viel besser hätte machen können, aber einfach keine Zeit mehr dazu hatte. (Info: Es war tatsächlich so.)
- Ich riskiere, dass euch mein Gesicht so gar nicht gefällt, ihr eure nächste Voodoo-Puppe nach mir benennt und mir dann in Zukunft ständig solche Dinge passieren, wie z.B. dass mir die Schlagsahne in der Einkaufstüte kaputtgeht, ich mich ständig mit den Gürtelschlaufen an meiner Hose in Türklinken verhake, wenn ich‘s eilig habe oder ich meinen Zucker umwerfe und mir Jahre später noch Körner aus allen Ecken und Winkeln entgegenkommen. Ihr wisst schon, einfach solche Dinge, die total unnötig sind und so richtig nerven.
Joa, die Kolumne gibt’s jetzt trotzdem. Aber wieso, Herrgott nochmal?! Das hat einen ganz simplen Grund: Ich selbst finde es immer total cool, wenn ich mehr über die Person(en) hinter einer Idee erfahre. Entgegen aller Vernunft verlasse ich mich also einfach auf mein Bauchgefühl. Ich mutiere in solchen Situationen gerne zum Modell Staubsaugerroboter: Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, muss ich erst 4–5 mal mit vollem Karacho auf ein Hindernis stoßen, bis ich mich irgendwann umdrehe und mir das nächste suche. Sollte das mit der Kolumne schiefgehen, kann ich mich ja immer noch mit fünf Hunden auf einer isländischen Farm niederlassen und mir für den Rest meines Lebens darüber Sorgen machen, was andere von mir denken.
Wäre ich aber rationaler veranlagt, gäbe es diese Zeitschrift auch gar nicht. Und solange noch keine Online-Petition o.ä. gegen meine Kolumne gestartet wird, schreibe ich also einfach mal drauf los und überlege mir spontan, mit welchen Themen, Meinungen und Aussagen ich mich je nach Ausgabe angreifbar machen möchte. Herausragender Plan! Fangen wir doch gleich einmal damit an:
Ich hatte mir gedacht, ich gebe euch mit meinem ersten Beitrag einen tieferen und vor allem persönlicheren Einblick, wie und warum Legal Layman überhaupt zustande kam und wieso eine Medizinerin mit einer einzigen Frage eine synaptische Kernschmelze bei mir auslöste.
Eigentlich bin ich als Wirtschaftsjuristin im Compliance Bereich tätig. Compliance bedeutet übersetzt nicht etwa „Korruption“ (ich bekomme immer leichtes bis mittelschweres Kammerflimmern, wenn Compliance nur damit verbunden wird) sondern: „regelkonformes Verhalten“. Es geht also darum, eine Regel (die Theorie) in ein dementsprechendes Verhalten (also in die Praxis) umzuwandeln. Das kann aber nur dann funktionieren, wenn diejenigen, die diese Regelungen am Ende praktisch umsetzen und einhalten sollen, überhaupt erst einmal von ihnen wissen und sie dann auch verstehen.
Aus diesem Grund hatte ich mich eigentlich schon immer darum bemüht, rechtliche Informationen möglichst einfach und verständlich zu erklären – ohne viele Fachbegriffe und ohne Paragraphen. Doch dann passierte etwas, das mich auf den Boden der Tatsachen katapultierte:
Ich hatte einmal ein Seminar über Arzthaftungsrecht für Medizinstudierende gehalten, die kurz vor ihrem zweiten Staatsexamen standen. Nach ca. einer Stunde stellte mir dann eine Medizinerin aus dem Nichts die unfassbar gute Frage, (festhalten!) wie man denn eigentlich Paragraphen liest und zitiert. Mein Juristenhirn hatte sich daraufhin aus Überlastungsprävention automatisch abgeschaltet, ich bin in eine Art Schockstarre verfallen und meine Festplatte musste sich erst einmal neu hochfahren. Als das passiert war, fragte ich in die Runde, ob das denn überhaupt jemand könne. Niemand meldete sich. Niemand.
Da saßen also ca. 25–30 unglaublich intelligente Leute vor mir, die teilweise Operationen durchführen können, aber nicht wissen, wie man Paragraphen liest. Das sind genau die Schockmomente, die man braucht, um in Zukunft bessere Arbeit leisten zu können. Und ich bin mir sicher, dass diese Frage wohl nie gestellt worden wäre, wenn ich von Anfang an Paragraphenketten verwendet und das alles somit als selbstverständlich suggeriert hätte. Keiner outet sich ja bekanntlich gerne als (vermeintlicher) Volldepp. Seitdem hatte ich immer wieder nachgefragt, ob gewisse Basics bekannt wären und bemerkte dabei, wie viel wir Juristen eigentlich als selbstverständlich voraussetzen und wie wenig wir tatsächlich voraussetzen dürften.
„Das sind genau die Schockmomente, die man braucht, um in Zukunft bessere Arbeit leisten zu können.“
Und dann kam auch noch die Corona-Krise hinzu, wo ja jeder irgendwie plötzlich zum Hobbyjuristen mutiert ist und sich meine Magenschleimhaut daraufhin galant verabschiedet hat. Irgendwann war ich dann mal am Putzen (das entspannt mich) und plötzlich schoss mir die Frage in den Kopf „Gibt’s eigentlich ein Format, das aktuelle Themen und Hintergründe aus dem rechtlichen Bereich auch mal einfach und verständlich erklärt?“. Ich warf meinen Putzlappen quasi mit Sprungwurf zur Seite und recherchierte. Als ich mit Erschrecken feststellen musste, dass es sowas noch gar nicht gibt, dachte ich mir: „Ja scheiße, muss ich wohl selbst ran.“ 10 Minuten nach meiner Blitzidee hatte ich dann den Namen, nochmal 10 Minuten später war Justin schon mit im Boot und am selben Abend auch noch Lina. Und dann ging alles irgendwie ganz schnell.
Die erste Zeit habe ich dann erst einmal das Konzept und das Design erstellt. Und ich sag’s euch: wenn mir irgendetwas in meinem Genom fehlt, dann die Sequenz für Geduld. Ich kam mir an meinem Computer teilweise vor wie ein minderbemittelter Schimpanse mit Koffein-Überdosis, der einfach solange irgendwelche Tasten drückt, bis irgendwas funktioniert. Oder halt auch nicht.
Irgendwann war es dann soweit, dass wir potentielle Autoren anschreiben und ein Projekt vorstellen mussten, von dem wir selbst nicht mal wirklich wussten, wie es am Ende aussehen wird. Wir waren auf alles eingestellt. Darauf, dass wir bei allen um Beiträge betteln müssen, dass wir in der Redaktion die ganzen Artikel am Ende selbst schreiben dürfen, dass uns jemand als Antwort auf das Konzept einen Trojaner mit in die E-Mail packt und auch darauf, dass wir von den „klassischen Juristen“ für unsere Idee auf offener Straße gesteinigt werden. Womit wir aber niemals gerechnet hätten: Die Leute waren von dem Konzept begeistert!
Und nachdem wir unsere Zeitschrift auch in Social Media angekündigt und beworben hatten, kamen Juristen sogar von ganz alleine auf uns zu und fragten uns, ob sie einen Beitrag für Legal Layman schreiben dürften. DÜRFTEN! Zwickt uns bitte mal jemand?! Wir wussten überhaupt nicht, was da gerade eigentlich passiert.
Nunja, aber wir sind ja in Deutschland, ne. Wir können uns nicht einfach mal nur freuen, nein, sondern diese positive Resonanz verwandelte sich ganz schnell in Druck. Jetzt müssen wir abliefern. Und jetzt kommen wir aus der Geschichte auch auf keinen Fall mehr heraus. Seitdem haben wir uns morgens also erst mal ´ne Kanne Kaffee ins Gesicht geschüttet, unser Kreativitätslevel „Knäckebrot“ eingeschaltet, mit schwitzenden Händen etwas getippt, wieder gelöscht und wieder getippt. Ach, passt schon so jetzt! Oder? AAAAAH!!! Irgendwann war mir sogar die Spinne im Büro egal. Man muss eben auch bei Panikattacken Prioritäten setzen.
Jetzt ist es bei mir gerade 21:17 Uhr. Ich sitze in Jogginghose, zwei verschiedenen Socken und einem Rotwein am Schreibtisch, meine Haare stehen in alle Richtungen, mein Handy leuchtet ständig neben mir auf und ich habe eine Kerze an, auf der „Ruhe und Entspannung“ steht. Gottverdammt nochmal! Ruhe und Entspannung?!! Gebt mir eine Kerze mit dem Namen „Stress, Deadlines und Kreativität auf Knopfdruck“!!!!
Aber naja. Ich vermute ja sowieso, dass die meisten gar nicht bis hierhin gelesen haben, weil sie zuvor schon mit zitternden Händen und Schnappatmung nach dem nächsten Verwaltungsgesetzestext greifen mussten, um das alles hier erst einmal mit der nötigen Dosis Neutralität zu kompensieren. Kann ich verstehen. Klar schreckt man mit einer nahbareren Art gewisse Leute ab, aber man gewinnt so auch genau diejenigen, die am besten zu einem passen – und das ist gut so. Nicht nur für mich als Person, sondern auch für Legal Layman als Zeitschrift. Wir finden es wichtiger, einige zu begeistern, als möglichst vielen zu gefallen.
In diesem Sinne:
Macht’s gut, gewöhnt euch schon einmal an mich und bis zur nächsten Ausgabe!