Prof. Dr. Michael Becker
Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handelsrecht,
Zivilprozessrecht und internationales Privatrecht
an der Technischen Universität Dresden
EIN GANZES LEBEN IN DER JURISTEREI:
Wir interviewen einen Jura-Professor, der nun in den Ruhestand geht.
LL: Herr Prof. Dr. Becker, Sie sind nach 25 Jahren des Professoren-Daseins dieses Jahr in den wohlverdienten Ruhestand gegangen. Wie kamen Sie zur Juristerei und was hat Sie schließlich dazu bewegt, Universitätsprofessor zu werden?
Prof. Dr. Becker: Zur Juristerei kam ich hauptsächlich durch einen Geschäftspartner und Freund meines Vaters aus Lemberg, der sich im Wien der 1920er Jahre promoviert hat. Zwar war er nicht als Jurist sondern als Kaufmann tätig, aber gerade diese Tatsache half mir zu erkennen, dass die Juristerei eine solide Grundausbildung liefert, auf deren Basis man sich dann verschiedentlich entwickeln kann.
Univ.-Prof. wurde ich durch den prägenden Einfluss von genialen Lehrern, bei denen ich etwas über wissenschaftliches Arbeiten lernen durfte. Die Art und Weise wie diese Lehrer die Wissenschaft begriffen, hat mich sehr fasziniert.
LL: Wenn Sie heute auf Ihre Zeit als Universitätsprofessor zurückblicken, was bewegt Sie da am meisten?
Prof. Dr. Becker: Das ist eine Frage, die sehr viel mit der Geschichte unseres Landes zu tun hat. Dieser Abschnitt meines Berufslebens hat sich nämlich meistenteils in den neuen Bundesländern abgespielt. Der Nachwuchs, mit dem ich hier in Berührung kam, hat mich sehr beeindruckt.
Aus allen ist irgendwie etwas geworden, trotz schwieriger Startbedingungen. Die Kolleg:innen allerdings, auf die ich dort gestoßen bin, haben mich insoweit verwundert, als sie die Methoden, die früher in diesem Teil des Landes üblich gewesen sein sollen, mit großer Perfektion beherrscht haben. Die Thematik Ost-West hat mich also mein gesamtes Berufsleben begleitet.
Das Fachliche ist wichtig, aber beileibe nicht alles. […] Mindestens ebenso wichtig sind elementar-soziale Fähigkeiten wie Empathie oder die Gabe, Entscheidungen so zu treffen und zu vermitteln, dass sie dem Laien einleuchten.
LL: Aus sicherer Quelle wissen wir, dass Sie Ihre Karriere den Student:innen gewidmet haben. Wieso war Ihnen das immer ein besonderes Anliegen nicht nur juristische Inhalte zu vermitteln, sondern auch das Menschliche zu fördern?
Prof. Dr. Becker: Das hängt wiederum mit meiner Sozialisierung zusammen. In den 1970er Jahren wurde der Begriff der „furchtbaren Juristen“ prominent. Dies bezog sich damals auf belastete Juristen aus der Nazi-Zeit, die ohne weiteres in der Bundesrepublik weiter verwendet wurden.
Heute gewinne ich gelegentlich den Eindruck, dass es diesen Typus nach Inhalt und Verfahren immer noch gibt. Daher meine ich, dass wir eine Juristerei mit „menschlichem Antlitz“ unbedingt brauchen, damit das, worum es in diesem Fach überhaupt geht, nämlich der Umgang mit Recht und Gerechtigkeit mit ihrer befriedenden Funktion, in der Gesellschaft und bei den Menschen ankommen kann.
LL: Was denken Sie, was macht jemanden zu einem/einer guten Jurist:in?
Prof. Dr. Becker: Das Fachliche ist wichtig, aber beileibe nicht alles. Bei der Vergabe von Posten im Juristischen Bereich wird sehr auf die Examensnoten geschaut. Besonders begehrt sind sog. Prädikatsjurist:innen.
Mindestens ebenso wichtig sind aber elementar-soziale Fähigkeiten wie Empathie oder die Gabe, Entscheidungen so zu treffen und zu vermitteln, dass sie dem Laien einleuchten – ein Anliegen, das diesem Medium besonders am Herzen liegt. Diese „Skills“ spielen in der ganzen Ausbildung praktisch leider kaum eine Rolle.
LL: Sie sind bis heute auch Prüfer im 2. Juristischen Staatsexamen. Hat sich die juristische Ausbildung seit Ihrer Zeit stark verändert und wenn ja, in welcher Hinsicht?
Der Nachwuchs muss heute mehr leisten als zu meiner Zeit […]. Ziemlich unverändert geblieben ist dagegen der Umgang mit dem Nachwuchs, dem zu oft nicht viel zugetraut wird […] Dabei nimmt man doch allgemein an, dass der Mensch an seiner Aufgabe wächst.
Prof. Dr. Becker: Ich bin trotz verständlicher Kritik und trotz seiner nicht enden wollenden Reformen ein unbedingter Anhänger des deutschen Systems der Juristenausbildung im Vergleich mit der Lage in vielen unserer Nachbarstaaten. Der Nachwuchs muss heute mehr leisten als zu meiner Zeit – etwa wegen der Zunahme des Stoffs und der Digitalisierung.
Ziemlich unverändert geblieben ist dagegen der Umgang mit dem Nachwuchs, dem zu oft nicht viel zugetraut wird, was zu einer herablassenden Behandlung führen kann. Dabei nimmt man doch allgemein an, dass der Mensch an seiner Aufgabe wächst.
LL: Und was kommt für Sie persönlich nun als nächstes? Bleiben Sie der Juristerei treu?
Prof. Dr. Becker: Ich werde das Land in Richtung Süden verlassen, weil es mich zu neuen Ufern zieht. Der Juristerei, wie ich sie verstehe und betreibe, bleibe ich verbunden durch verschiedene Publikationsprojekte, zahlreiche noch laufende Promotionsverfahren sowie beratende Tätigkeiten zum deutschen und internationalen Wirtschaftsrecht.
LL: Vielen Dank für das Interview, lieber Prof. Dr. Becker. Wir wünschen Ihnen alles Gute!