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Wenn Juristen doch nur wüssten,

…WIE SEHR SICH NICHT-JURISTEN MANCHMAL ÜBER IHRE ANWESENHEIT FREUEN WÜRDEN.

 

 

Romy Beer

 

ist Digital Marketing und Sales Expertin und in der digitalen Unternehmensberatung tätig.

 

 

Ich hatte mir geschworen, mit der Juristerei nie wieder auch nur die kleinsten Berührungspunkte zu haben. Vorbei sollten die Zeiten sein, in denen ich im Studium vor völlig abstrakten juristischen Fällen saß und mir bei der Aufgabe, diese mittels Fallbearbeitung nach vorgegebener Methodik zu lösen, regelmäßig der kalte Schweiß ausbrach.

 

„Frau Beer, Sie sollen die Lösung bitte strikt nach der gelernten Vorgabe herleiten. Belletristik ist keine Disziplin des Zivilrechts.“ Auch ohne diesen freundlichen Hinweis unserer Lehrbeauftragten für Recht I und II war mir sehr schnell klar, dass aus mir wohl nie eine neue Ruth Bader Ginsburg werden würde. Warum auch? Ich hatte mich bewusst für ein BWL und E-Commerce Studium entschieden, und wiegte mich in der wohligen Zuversicht, nach abgeschlossenem Master mit diesem leidigen Themenspektrum nie wieder etwas zu tun haben zu müssen. Dafür gab es schließlich Expert/innen in den jeweiligen Unternehmen oder externe Anwälte. Soweit also die Theorie.

 

10 Jahre später und um viele Erfahrungen reicher, bin ich dem Digitalumfeld treu geblieben und berate Unternehmen aus Mittelstand und Industrie zur Digitalen Transformation und zukunftssicheren Gestaltung ihres technologischen Set-ups.

 

Im Kampf um immer neue lukrative Kundenprojekte muss man das Durchhaltevermögen einer ausdauernden Raubkatze haben. Den Zielkunden beobachten, analysieren und mit beharrlicher Vorbereitung in die Ansprache gehen. Die Stakeholder und deren Wünsche, Ziele und Pain Points genau studieren und sie im richtigen Moment mit einem perfekt abgestimmten Angebot packen.

 

 

Ich hatte mir geschworen, mit der Juristerei nie wieder auch nur die kleinsten Berührungspunkte zu haben.

 

 

Wenn die Bemühungen und akribische Vorarbeit dann tatsächlich von Erfolg gekrönt werden, steht der gemeinsamen Kooperation für den neuen state-of-the-art Webshop oder dem alles verändernden PIM-System nur noch ein letzter Baustein im Wege: das allumfassende Vertragswerk – angefangen von NDA (Geheimhaltungsvereinbarung) und AVV (Auftragsverarbeitungsvertrag) bis hin zu Rahmen- und Einzelverträgen für die jeweils maximale juristische Absicherung beider Parteien im künftigen Digitalisierungsbestreben. Und damit endet meine Theorie der leichtfüßigen Studentin, diese Bereiche könne man als Digitalexpertin getrost denen überlassen, die das gelernt haben.

 

„Herzlichen Glückwunsch, Frau Beer, Sie haben uns mit Ihrem Konzept aus der Vielzahl der konkurrierenden Dienstleister am meisten überzeugt. Wir freuen uns, das Projektvorhaben mit Ihnen gemeinsam durchführen zu können. Anbei finden Sie unser NDA sowie den AVV nach aktuellem Stand der DSGVO. Bitte füllen Sie diese Unterlagen aus und bereiten Sie die nötigen Vertragsdokumente vor.“ So lautete die E-Mail des Kunden nach meinem ersten erfolgreichen Pitch.

 

Als gut vorbereiteter Dienstleister wartete ich voller Tatendrang mit meinen Standard-Vertragsvorlagen auf, die von spezialisierten Anwälten in feinstem Juristendeutsch verfasst worden waren. Laut deren Aussage waren die feinsäuberlich verfassten Zeilen ein wahres Meisterstück der Juristenzunft, mit dem auch ein Nicht-Jurist wie ich perfekt vorbereitet wäre für den Austausch mit dem Kunden – und deren Anwalt im Gepäck. Mit der friedvollen Naivität eines Anfängers wagte ich mich also in die erste Vertragsverhandlung mit dem Kunden und seinem hauseigenen Chefjuristen. Bereits nach der Vorstellungsrunde war mir klar, dass es sich bei dem Austausch um ein modernes David gegen Goliath handelte. Im Gegensatz zur anderen Vertragspartei saß ich hier nämlich „nur“ mit dem Chef-Entwickler und nicht mit einem hauseigenen Anwalt.

 

 

Mit dem Überlebenswillen eines Verdurstenden arbeitete ich mich also Anmerkung um Anmerkung voran. Damit auch nicht der geringste Zweifel an seiner Existenzberechtigung aufkäme, hatte der Anwalt unseres Kunden an Änderungswünschen in unserer Vertragsvorlage nicht gespart.

 

 

Mit dem Überlebenswillen eines Verdurstenden arbeitete ich mich also Anmerkung um Anmerkung voran. Damit auch nicht der geringste Zweifel an seiner Existenzberechtigung aufkäme, hatte der Anwalt unseres Kunden an Änderungswünschen in unserer Vertragsvorlage nicht gespart. 10 Seiten und erhellende Erkenntnisse zum TMG und dem GeschGehG später stand mir der Sinn nach einem tiefen Atemzug an der frischen Luft und meinem Schreikissen aus Kindertagen. Um mir den finalen Gnadenstoß zu versetzen, wartete der Anwalt mit einem wahren Schmankerl auf. „Frau Beer, wir müssen in Paragraph 5 die Begrifflichkeit von Pflichten auf Obliegenheiten des Auftraggebers ändern.“ Betretenes Schweigen auf meiner Seite. „Bei Paragraph 4 steht doch auch Pflichten des Auftragnehmers. Wir als Dienstleister haben also Pflichten, Sie als Kunde haben Obliegenheiten?“

 

Jetzt einfach mal vor dem Anwalt googlen und sich über die rechtlichen Unterschiede und damit verbundenen Konsequenzen aufschlauen, war schlichtweg undenkbar. Meinen Entwickler-Kollegen um fachlichen Beistand fragen? Auch nicht zielführend. Was blieb, war, sich die Unterschiede wie ein gelehriger Schüler von der Gegenseite erklären zu lassen:

 

Obliegenheiten im Gegensatz zu Pflichten sind Handlungen, deren Vornahme rechtlich nicht von der Gegenseite erzwungen werden können und nicht einklagbar sind. Wie schön, und nun soll ich als Nicht-Juristin nicken, lächeln und diesem Vorschlag der Gegenseite einfach zustimmen, ohne mir über die rechtlichen Konsequenzen für uns als Dienstleister bewusst zu sein?

 

So oder so ähnlich verhält es sich in vielen meiner Vertragsverhand-lungen. Die Kirsche auf der Torte sind für mich immer noch die englischsprachigen Verhandlungen – insbesondere, wenn beide Vertragsparteien Englisch nicht als ihre Muttersprache sprechen. Da müssen während des Meetings dann schon mal deepl oder Google Translate bemüht werden, um den englischen Satz zunächst in Juristendeutsch zu übersetzen und dem Gegenüber dann wieder in möglichst einfachen englischen Worten zu erklären.

 

Obwohl sich viele Themen und Forderungen der Kunden im Laufe der Monate und Jahre wiederholen, beschleicht mich dennoch jedes Mal wieder das untrügliche Gefühl, ein deutliches Kräfteungleich-gewicht vorzufinden: Amateurboxer aus der Kreisliga gegen Muhammad Ali!

 

Wie sehr würde die Effizienz solcher Verhandlungen doch gesteigert, wenn wir uns als Dienstleister wenigstens für den Austausch mit sehr großen, potenten Kunden eine juristische Expertise „leisten“ würden. Klar würde das extra Kosten aufrufen, aber die Rechnung ginge letztlich auf. Statt vieler Extrarunden, in denen ich als Nicht-Juristin die Änderungswünsche der Kunden nachträglich auf juristische Implikationen für uns prüfen (lassen) und diese wieder mit der Gegenseite in weiteren Meetings besprechen müsste, wären wir mit einem Kräftegleichgewicht wohl meist nach einer Sitzung durch. Alle happy, Unterschrift drunter und endlich mal das tun, wozu der ganze juristische Rahmen eigentlich dienen sollte: Ein großartiges gemeinsames Projekt auf die Beine stellen und das Business beider Parteien einen wichtigen Schritt voranbringen.

 

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